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Stefan Steinmetz
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Das Lehm(23) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

In den darauffolgenden Tagen war Themas nervös. Ihm kam es vor, als ob Grutie Umpfbeetl ihn belauerte. Immer wieder tauchte sie an Orten auf, an denen er sich aufhielt. Das konnte natürlich Zufall sein, denn die Lehma streifte immerzu durchs Dorf und sie wanderte die nähere Umgebung ab, aber Themas kam es vor, als hätte Grutie es auf ihn abgesehen.
Dass Trischas Angst mit jedem Tag, der verstrich, größer wurde, machte es nicht einfacher. Sie war zu einem Nervenbündel geworden. Schließlich traute sie sich nicht länger, ihm dabei zu helfen, Kopien von Tante Brillas Heft zu machen. Themas erledigte die Arbeit alleine.
„Pass wenigstens auf, dass mich keiner erwischt“, bat er Trischa. Sie benutzten weiter das Knorrengebüsch für ihre illegalen Tätigkeiten. „Noch zwei Hefte, dann bin ich fertig.“

Als er das letzte Heft gerade zu Ende geschrieben hatte, gab Trischa Alarm: „Aufpassen, Themas! Es kommt jemand!“
Hastig ließ Themas das Heft unter seiner Bekleidung verschwinden. Er holte die Mundharmonika hervor und fing an zu spielen. Inzwischen war er recht gut auf dem Instrument.
Fünf Personen kamen über die Heide heran. Es war Grutie Umpfbeetl, die von vier Priestern begleitet wurde. Die Lehma hielt genau auf Themas und Trischa zu. Trischa warf Themas einen gehetzten Blick zu.
Er unterbrach sein Spiel: „Bleib ganz ruhig! Wir sitzen hier und ich spiel dir was vor. Das ist nicht verboten.“ Er setzte die Mundharmonika wieder an die Lippen und begann ein neues Lied.
Die kleine Prozession war heran. Grutie lauschte der Musik. Was sie hörte, schien ihr zu gefallen. „Du kannst sehr gut spielen“, sagte sie, als Themas das Lied beendet hatte.
Er grinste schief: „Mit Philka Kahleg kann ich es nicht aufnehmen. Wo die ist, will ich auch hin. Ich muss fleißig üben. Ich werde mir nächstes Mal in Landsweiler dieses Büchlein kaufen, das sie benutzt. Da stehen viele Tricks und Tipps drin. Ich weiß noch gar nicht, was man alles aus dem Instrument herausholen kann.“
„Du gehst gerne ins Draußen, nicht wahr?“, fragte die Lehma.
„Es geht“, meinte Themas. Warum war Grutie dermaßen neugierig? Dauernd quetschte sie ihn aus. Sie fragte ihn ständig nach allem möglichen. Bei anderen Leuten machte sie das nicht. Themas hatte sich seine Antwort gut überlegt. Rundweg Nein sagen, konnte er nicht. Das wäre ein Fehler gewesen. Doch er durfte nicht zu begeistert klingen. „Das Gewurle in der Stadt mag ich nicht. Das ist mir zu viel. All die vielen Leute! Und wie die angezogen sind! Bunt wie Distelfinke! Aber ich mag es, am Bahnhof der Eisenbahn zuzuschauen. Es fasziniert mich irgendwie.“
„Was gefällt dir an der Eisenbahn?“
„Alles“, antwortete er. „Die Lokomotiven sind unglaublich! Diese Kraft! Man kocht Dampf und der treibt die Maschinen an.“
Grutie fragte ihn noch einiges. Sie kam vom Hundertsten ins Tausendste. Endlich gab sie Ruhe. Doch statt abzuziehen, ließ sie sich im Sand nieder. „Spiel für uns, Themas Irrlucht“, bat sie und sah ihn mit ihren lehmfarbenen Augen an. „Ich mag dein Mundharmonikaspiel.“
Wohl oder übel musste Themas gehorchen. Das Ketzerheft brannte ihm unter der Kleidung ein Loch in die Brust. Wenn er erwischt wurde, war er reif! Er spürte Trischas Angst und versuchte, sie mit aufmunternden Blicken zu beruhigen.
Die vier Priester standen schweigend neben Grutie.
Eine Stunde lang saß die kleine Lehma bei Themas und Trischa. Sie lauschte der Musik von Themas mit verträumten Augen, während ihre Zehen im Sand spielten. Sie wirkte wie ein normales Mädchen ihres Alters, das Musik mochte. Themas hätte nicht sagen können, ob Gruties Benehmen Schau war oder echt. Er schwitzte Blut und Wasser, während er musizierte.
Nach einer Stunde setze er das Instrument ab: „Das war alles für heute. Mein Repertoire ist nicht größer. Wie gesagt: Ich muss noch viel üben.“
„Du spielst sehr schön“, sagte Grutie. Sie schaute ihn mit schief gelegtem Kopf an: „Sag, Themas, wie lange hat es gedauert, bis du dein erstes Lied vortragen konntest?“
Themas zuckte die Achseln: „Keine Ahnung. Es ging von Anfang an, aber es klang nicht gut. Man muss die einzelnen Töne genau treffen. Dazu spitzt man die Lippen. Man kann aber auch den Mund breit öffnen und mit der Zunge welche von den Löchern zudecken. Das habe ich von Philka. Die hat dieses Lehrheft. Das will ich mir ja auch kaufen. Bei meinem Instrument war nur ein gefalteter Zettel dabei mit ein paar Erklärungen.“
Er öffnete das Pappkästchen, in dem die Mundharmonika aufbewahrt wurde, holte den Zettel hervor und zeigte ihn Grutie: „Es ist ein Soloinstrument. Siehst du? Es hat drei Oktaven. Komischerweise wechselt es ein paarmal zwischen Ziehen und Blasen.“
Grutie betrachtete die gedruckte Zeichnung auf dem Zettel neugierig. „Die Pfeile stehen für Blasen und Ziehen?“
„Ja.“ Themas nahm das Instrument zur Hand. „Links sind die tiefen Töne und nach rechts werden sie immer heller. Man beginnt mit Blasen und Ziehen auf den ersten drei Löchern, dann liegen die Töne umgekehrt. Im vierten Loch kommt der richtige Ton auf Ziehen und dann auf Blasen. Dann geht es wieder mit Blasen und Ziehen weiter.“
Er setzte das Instrument an die Lippen. Wenn er in eine Kanzelle hinein blies, wippte er mit dem Oberkörper nach vorne, wenn er zog, wippte er nach hinten. Er spielte drei Tonleitern.
„Der Wechsel in der vierten Kanzelle irritiert am Anfang sehr“, erklärte er. „Man muss sich daran gewöhnen. Es ist wegen der Harmonien, sagt Philka. Ich verstehe es nicht. Deswegen will ich ja das Lehrheft besorgen. Dort steht viel drin. Philka hat mir gezeigt, wie man solche Harmonien spielen kann. Man kann zum Beispiel vier Löcher, auf einmal in den Mund nehmen. Dann streckt man die Zungenspitze vor und deckt die zwei Löcher in der Mitte damit ab. So!“ Er spielte einen Doppelton.
Grutie lächelte ihn an: „Das klingt, als ob zwei Leute singen – einer mit einer tiefen Stimme und einer mit einer hellen Stimme.“
„Man nennt es Oktavieren“, erklärte Themas. Er spielte eine Tonfolge mit Doppeltönen.
„Wie schön das klingt!“, sagte Grutie. Sie betrachtete die Mundharmonika. „Darf ich sie mal haben?“
Themas reichte ihr das kleine Instrument. Er war irritiert. Grutie benahm sich entschieden anders als sonst. Er sah zu, wie sie die Mundharmonika in die Hände nahm. Neugierig besah sie das kleine Ding. Das polierte Messing funkelte im Sonnenlicht. „So klein und doch macht sie schöne Musik.“ Grutie blickte zu ihm auf: „Sag Themas, wie viel kostet eine?“
Themas nannte den Preis.
Grutie ließ ihre schmalen Finger über die polierte Oberfläche der Schalldeckel streichen. „Sie ist schön.“ Sie blickte ganz versonnen vor sich hin. Dann schaute sie Themas an: „Themas Irrlucht? Wenn ich dir Geld gebe, könntest du mir eine kaufen? In Landsweiler, meine ich.“
„Ja doch“, meinte Themas. Nun war er erst recht irritiert. So hatte er Grutie Umpfbeetl noch nie erlebt. Sie saß vor ihm im Sand und wirkte einfach nur wie ein kleines Mädchen, das sich eine Mundharmonika wünschte. Von ihrem verwöhnten Gebaren war nichts zu spüren. Sie wirkte weder herrschsüchtig noch eingebildet. Und kein bisschen boshaft.
Themas war verwirrt. Spielte Grutie ein falsches Spiel mit ihm oder war sie einfach sie selbst?
„Willst du mal drauf spielen?“, fragte er, um seine Befangenheit zu überwinden.
„Nein.“ Grutie reichte ihm das Instrument. „Das ist deine.“ Themas wurde nicht schlau aus ihr. Was war los? Grutie wirkte irgendwie traurig. Er sah die versteckte Sehnsucht in ihrem Blick, in diesen seltsamen lehmfarbigen Augen. „Themas?“
„Ja, Lehma?“, fragte er.
„Wenn du dein Lehrheft hast … darf … darf ich es mir vielleicht mal von dir ausborgen? Oder mit dir gemeinsam darin lesen?“
„Geht klar“, sagte Themas. Er fragte sich, warum Grutie sich nicht gleich ein eigenes Lehrheft zu ihrer Mundharmonika bestellte. Die Priester würden ihr das Geld geben.
„Bringst du mir auch wirklich eine mit?“, fragte Grutie. Sie wirkte beinahe ängstlich.
„Sicher“, antwortete Themas. „Kein Problem.“
„Man wird dir Geld geben, Themas Irrlucht.“ Grutie schaute zu Mook Orpek, dem obersten Lehmpriester. „Nicht wahr, lieber Mook?“
Der Priester verbeugte sich: „Natürlich, ehrwürdige Lehma. Ich werde Themas das Geld persönlich aushändigen, damit er die Mundharmonika erstehen kann.“
Die Lehma schaute auf den Sandboden zwischen ihren bloßen Füßen. Sie sagte etwas. Sie sprach so leise, dass keiner sie verstehen konnte. Nur Themas hörte ihre Worte: „Ich bin doch die Grutie; nur die Grutie.“
Sie stand auf: „Wir werden jetzt gehen und euch zwei allein lassen. Ihr wollt bestimmt unter euch sein.“ Grutie sah traurig aus. Dann lächelte sie Themas an: „Auf bald, Themas. Ich freue mich auf meine Mundharmonika.“ Sie zog mit ihrem Gefolge davon.
Als sie schon weit draußen in der Heide waren, drehte sich Grutie noch einmal um und schaute zu Themas hin. Sie blickte ihn stumm an. Er konnte ihren Blick nicht deuten.
Sie wandte sich ab und führte ihre Priesterschar zum Dorf zurück.
Neben Themas stieß Trischa einen zittrigen Seufzer aus. „Um Himmels willen! Ich dachte, die geht nie mehr weg!“ Trischa schnaufte. „Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass sie etwas merkt. Ist dir aufgefallen, wie sie dich angestarrt hat? Die ganze Zeit über! Die ahnt was, glaube mir! Die ist hinter uns her! Und was sollte das mit der Mundharmonika?!“
Themas stand auf. Er zog Trischa an der Hand: „Komm. Steh auf. Lass uns nach Hause gehen. Ich muss das Heft verstecken. Ich muss es loswerden. Ich will nicht damit in der Gegend herumlaufen.“
Trischa drängte sich an ihn: „Themas, ich habe Angst! Grutie spielt ein falsches Spiel! Die plant irgendwas! Sie lauert wie die Spinne in ihrem Netz.“
Sie liefen ins Dorf zurück. Trischa erzählte, dass sie demnächst noch einmal für zwei Tage ins Innere des Lehms gehen sollte. Sie plante, ein paar ihrer Kopien mitzunehmen und in Lehmingen zu verstecken.
Themas war nicht bei der Sache. Er musste dauernd daran denken, wie die kleine Lehma zu Boden geschaut hatte. „Ich bin doch die Grutie; nur die Grutie.“ Das Mädchen hatte traurig ausgesehen; traurig und verlassen.

24.08.2017 14:07 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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