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Stefan Steinmetz
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Die großen Steine(7) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Die großen Steine - Kapitel 7

Am nächsten Morgen stand Caro früh auf. Sie hatte viel vor. Zudem wollte sie pünktlich am Abend zurück sein. Ulli und Gertrud die beiden Luftschiffsmädchen hatten eine kleine Feier angekündigt.
Den ganzen Weg nach Saarbrücken-Nassau freute sie sich auf den Nachmittag mit Peter. Sie glühte innerlich. Es war, als habe etwas ihr Herz in Brand gesetzt. Nie hätte sie sich träumen lassen, einmal solche Gefühle zu haben. Es war wie ein Traum, nur dass dieser Traum Wirklichkeit war.
An „ihrem“ Gartenlokal machte sie Pause. Sie schrieb sich die Adresse auf dem Schild auf, um sie auf keinen Fall zu vergessen. Dann radelte sie weiter nach Saarbrücken.
Das „Bureau Gebrüder Altherr, Immobilien Kontor“ befand sich nicht weit vom Rathaus entfernt im Erdgeschoss eines zweistöckigen Barockhauses. Caro fragte nach der kleinen Pension am Saarufer.
Ja, die sei noch zu haben, beschied man ihr freundlich. Noch dazu zu recht günstigen Konditionen. Die ehemaligen Inhaber, ein älteres Ehepaar, waren vor vier Jahren kurz nacheinander verstorben und die Erben hatten mit ihren eigenen Höfen genug zu schaffen und konnten sich nicht um das Anwesen kümmern. Zudem sei der Backofen in der Küche schadhaft, was bisher noch alle Interessenten abgeschreckt habe.
Herr Altherr schenkte Caro ein gewinnendes Lächeln: „Aus diesem Grunde, haben die Erben sich nunmehr entschlossen, den festgesetzten Preis um ein Viertel nachzulassen. Ihr kommt zur rechten Zeit, liebes Fräulein. Die Preisänderung wurde am gestrigen Tage erst rechtskräftig.“
Er nannte Caro einen Preis, der -gerechnet an ihrem großen Vorrat an Silbermünzen- geradezu lächerlich niedrig war. Es blieb mehr als genug Geld für die Instandsetzung des Häuschens und als Absicherung für schlechte Zeiten. Sie zögerte keine Minute und zückte ihr Kontobuch. Gleich an Ort und Stelle wurde – unter Aufsicht eines Notars – das Anwesen an sie überschrieben. Damit war Caroline Uhlig stolze Besitzerin einer kleinen Pension nebst einem Hektar Gelände. Sie verstaute ihre Besitzurkunde in der Satteltasche und radelte gemütlich in Richtung Cafe.
Bei einer Tasse Kaffee wartete sie auf Peter Lange. Der traf pünktlich wie ein Uhrwerk ein, auf einer eleganten Herrenmaschine in nussbraunem Emaillelack mit schwarzen Schutzblechen und vollgepackten Gepäckträgertaschen.
Nachdem er ihr bei einer Tasse Kaffee Gesellschaft geleistet hatte, radelten sie los. Auf einer breiten Straße ging es um den Saarsee herum. Sie kamen an der Fischersiedlung vorbei, wo farbenfroh angestrichene Holzhäuser mit breiten Veranden auf Pfählen im Wasser standen. Caro betrachtete die schmucken Häuschen mit den weißen Fensterrahmen und -läden . Die Strohdächer sahen wie dicke, blonde Mützen aus. In einem dieser Häuser lebte Heidi, die Frau die als junges Mädchen mit Martin zusammen gewesen war. Caro fand es tragisch, wie es gekommen war. Hätte Martin nur ein Jahr früher den Durchgang gefunden, wäre alles gut gegangen. Er tat ihr schrecklich Leid, gerade auch weil sie selbst im Moment so glücklich war.
Am hohen Felsen stellten sie ihre Räder ab und stiegen hinauf. Ein breiter Pfad wand sich an der Felsnase in die Höhe. Peter erzählte Caro, dass der Fels beim großen Erdbeben von 1568 aus den Tiefen der Erde nach oben geschoben worden sei. Er war fast einhundert Meter hoch. Wenn Caro am Geländer, das den Pfad sicherte, stehen bleiben wollte, scheuchte er sie freundlich weiter: „Nicht stehenbleiben, bitte. Warten Sie erst einmal die Aussicht ab, die Sie von ganz oben haben, liebes Fräulein Caroline.“
Also stieg sie mit ihm auf und übte sich in Geduld. Diese wurde belohnt, sobald sie oben waren. Um die gesamte Außenkante des gigantischen Felsklotzes war ein stabiles Geländer gebaut. Sie spazierten in aller Ruhe rundherum und genossen die Aussicht. Sie war atemberaubend. Die Luft war glasklar und man konnte im Norden bis zum Hunsrück, im Süden bis zu den französischen Vogesen und im Westen bis zum Pfälzer Wald schauen. Noch nie hatte Caro eine so saubere Luft erlebt.
Drunten fuhren winzig wirkende Boote und Schiffe auf dem Saarsee. Saarbrücken wirkte aus dieser Höhe wie eine Ansammlung von Modellhäusern und die Züge, die auf der nach Norden führenden Bahnstrecke dampften, sahen aus wie Modellzüge der Firma Märklin.
Weit im Norden sah sie die großen Hallen des Luftschiffhafens von Saarlouis. Sie schaute genauer hin und entdeckte ihr neues Haus. Sie zeigte mit dem Finger: „Das dort gehört mir. Die kleine Pension hinter Wadgassen.“
„Die Pension direkt an der Saar?“ fragte Peter. „Das Saarcafe?“
Caro nickte. „Ich habe es gekauft. Ich habe ein Leben lang davon geträumt, ein kleines Gartenlokal zu haben, am liebsten mit einer Pension dabei. Mir gefällt der Gedanke, mich um Menschen zu kümmern und ihnen was Gutes zu servieren.“
Peter Lange schaute sie an. Er sprach kein Wort. Aber seine Augen leuchteten. Endlich fand er die Sprache wieder: „Das bedeutet, Sie bleiben hier im Lande, liebe Caroline?“ Er sah aus, als habe er gerade erfahren, dass er einen Millionenjackpot geknackt hatte.
Caro nickte: „Ja. Ich habe mich entschieden, zu bleiben. Es ist einfach ...“ Sie suchte nach Worten und fand keine. Sie brachte nur eine hilflose Geste zustande.
Sein Blick wurde weich und mitfühlend: „War es … schlimm? Dort wo Sie herkommen, meine ich.“
Caro dachte nach. Schließlich schüttelte sie den Kopf: „Nein. Nicht wirklich. Na ja, gelegentlich. Aber das ist nicht der Grund für mein Hierbleiben. Dort … drüben … etwas war nicht richtig. Mein Leben fühlte sich irgendwie falsch an. So als ob ich eine Rolle spielte, anstatt ich selbst zu sein. Es ging nicht anders ...“ Sie gab einen hilflosen Laut von sich.
Nicht weinen! Nicht jetzt! Nicht hier! Nicht vor Peter! Nicht!
Die Tränen brannten heiß in ihren Augen wollten sie überschwemmen.
Sie sah sein Gesicht nur verschwommen. „Hier fühlt sich alles richtig an. Nichts kommt mir falsch vor. Das ist einer der Gründe. Aber auch, weil es so schön ist. Die Menschen sind so nett und freundlich. Wo ich herkomme ...“ Nein! Sag es nicht! Wozu soll das gut sein? Behalt es für dich, Caro!
Außerdem kannte sie viele gute Menschen dort „draußen“ und ihr Leben war gut gewesen. Es war ihr gut gegangen. Größtenteils jedenfalls. Häufig. Oft genug. Nicht zu selten. Na ja …
Peter machte einen Schritt auf sie zu und fasste nach ihren Händen: „Ich bin sehr froh, dass Sie sich entschieden haben, zu bleiben, liebes Fräulein Caroline. Sehr froh!“
Sie standen einander gegenüber und sahen sich in die Augen. Keiner brachte ein Wort heraus. Es schien, als stünde eine zehn Zentimeter dicke Platte aus Panzerglas zwischen ihnen. Sie konnten einander sehen, aber sie waren voneinander abgeschnitten.
Geh jetzt nicht weg von mir!, dachte Caro. Nicht jetzt! Nicht!
Sie machte einen Schritt – einen kleinen nur. Es war, als wäre ihr Bein mit flüssigem Blei angefüllt. Es war tonnenschwer. Sie holte tief Luft.
Seine Hand kam hoch, eine vorsichtige, schüchterne Geste. Sie wischte die schwere Panzerglasplatte hinweg wie lästigen Nebel. „Ich freue mich sehr, Caroline“, sagte er, die Stimme rau vor Verlegenheit. Seine Finger streiften sanft über ihre Wange, ein Hauch nur. Dann war der Moment vorbei.
„Das waren nette Leute, die vom Saarcafe“, sagte Peter. Er tat, als sei nichts gewesen. Sie standen nebeneinander am Geländer und schauten nach Norden, ließen ihre Augen dem Fluss folgen, der in weiten Kurven das Land durchlief. „Früher war dort ein Bootsanleger. Viele Ausflugsgäste machten in dem schönen Gartenlokal Rast und wir Fischer tranken morgens einen starken Kaffee und dazu gab es eine Zuckerbrezel oder ein großes Milchbrötchen.
Aber die Leute waren nicht mehr die Jüngsten. Dann hat auch noch ihre Hilfe gekündigt, eine junge Frau, die heiratete und ihrem Mann in den Hunsrück folgte. Kurz darauf ging der Backofen kaputt und keine Woche später starb der Wirt, ein netter Mensch, den ich nie vergessen werde. Es war, als sterbe das Haus mit seinen Besitzern. Die gute Frau lebte denn auch nicht mehr lange. Es ist jammerschade, dass die Erben die Pension derart verkommen ließen. Ich nehme an, sie hatten keine Zeit, sich zu kümmern. Ich habe gehört, sie verlangten zu viel Silber für das Anwesen. Darum hat niemand es übernommen.“
„Sie sind um ein Viertel mit dem Preis herunter gegangen“, sagte Caro. Neben Peter zu stehen und mit ihm zu sprechen, ließ ihr Herz klopfen.
„Auf der Rückseite liegt übrigens eine Straße“, fuhr Peter fort. „Sie führt in die nächste Ortschaft und dort ist ein Bahnhof der Schmalspurbahn. Dort sollten Sie ein Schild aufstellen, sobald das Cafe fertig ist.“
Caro schaute zu ihm hoch. Peter war noch größer als Martin und ein gutes Stückchen breiter gebaut. Er war ein Bär von einem Kerl, und doch hatte er das sanfteste Lächeln, dass sie je bei einem Mann erlebt hatte. „Ich habe vor, Spielgeräte für Kinder aufzubauen“, sagte sie. „Schaukeln, ein Klettergerüst, vielleicht ein kleines Karussell. Ein Teich, in dem man Schiffchen schwimmen lassen kann, wäre auch nicht übel.“
„Das klingt wunderbar“, meinte Peter. „Wissen Sie was? Ich werde meinen Cousin Alex fragen, ob er nicht ein paar gute Handwerker auftreiben kann. Alexander ist Zimmermann und zusätzlich noch nebenbei ein begnadeter Möbelschreiner. An dem Häuschen ist etliches zu tun. Es reicht nicht, den Backofen herzurichten oder gegen einen Neuen zu tauschen. Die Inneneinrichtung müsste teilweise erneuert werden. Das Dach sollte sich ein Fachmann auch mal anschauen und oben ist ein Fenster kaputt, wenn ich mich recht erinnere.“
„Ich will auf jeden Fall, dass alles gerichtet wird“, sagte Caro. „Keine halben Sachen. Ich werde den Rest meines Lebens in diesem Haus verbringen. Da muss alles tipptopp sein. Ich kann es mir leisten, alles neu machen zu lassen.“
„Dann werde ich Alex fragen“, versprach Peter. „Er und seine Bekannten werden dir einen guten Preis machen.“
Weiter im Norden stieg ein Luftschiff auf.
„Heute Abend ist Luftschifferfest“, sagte Caro. „Gertrud und Ulli von der „Frankfurt“ haben mich eingeladen. Ab acht Uhr. Ich weiß nicht, was das wird.“ Sie lugte unter ihrem Stirnpony zu Peter hoch und probierte ein Lächeln. Es gelang: „Jedenfalls kein Picknick im Luftschiff. Die Frankfurt liegt in der Werkstatthalle zur Überholung. Sie suchen nach Löchern in den Gaszellen und spannen die Haltedrähte nach und so ein Zeugs. Ein Teil der Außenhülle muss erneuert werden. Deshalb haben Gertrud und Ulrike ein paar Tage Ferien.“
Sie genossen noch eine ganze Weile die schöne Aussicht, dann stiegen sie ab und setzten ihre Radtour fort.
Bei einem Bootsverleih hielt Peter an. Sie stellten ihre Räder ab und luden die Picknickutensilien auf ein kleines schmuckes Segelboot aus poliertem Holz. Peter hisste das rote Segel und zeigte Caro, wie man mit der Ruderpinne umging und wie man gegen den Wind kreuzte. Es ging zu einer Insel, auf der man inmitten schöner Gärten picknicken konnte.
„Das Picknicken haben wir von den Britanniern abgeschaut“, erklärte Peter, während er Caros Arm führte, damit sie die Ruderpinne richtig hielt. „Die britannischen Luftschiffer haben es in Deutschland eingeschleppt. Es hat sich verbreitet wie eine ansteckende Krankheit.“ Er lachte: „Es ist aber auch schön, nicht?“
„Ja“, sagte Caro.
Er legte den Arm um sie und korrigierte ihre Haltung: „Nicht so steif bitte. Lassen Sie den Wind die Arbeit machen, Fräulein Caroline. Immer nur mit weichem Druck. Sehen Sie? Das Boot folgt dem Befehlt ihrer zarten kleinen Hand.“
Zarte kleine Hand. Ja, das war sie, ihre Hand. Und ihr Herz war ebenso zart und klein und es schlug gerade sehr heftig. Segelunterricht war eine enorm wunderbare Beschäftigung, fand Caro. Sie lehnte an Peters Schulter und fühlte sich weiblich wie noch nie in ihrem Leben. Nein! Davon konnte sie nicht mehr lassen. Unmöglich! Und wenn das Königreich Bayern ein mieses, fieses Land gewesen wäre, mit stinkenden Fabriken und verschmutzter Umwelt. Sie hätte es in Kauf genommen, um dieses ungeheuer wonniglichen Gefühls willen. Sie war eine junge Frau. Durch und durch.
Auf der Insel mitten im Saarsee spazierten Leute auf gewundenen Pfaden durch wahre Meere aus Blumen. Überall gab es gepflegte Rasenstücke, auf denen man picknicken durfte.
Caro und Peter suchten sich eine Ecke inmitten von blühenden Rosen aus. Der Blütenduft war betäubend.
Peter breitete eine Decke aus und stellte die Picknickutensilien auf. Er hatte sogar eine Thermoskanne mit heißem Kaffee dabei. Von ihrem Platz aus konnten sie den Booten auf dem See zuschauen, während sie Streuselstückchen und Puddingbrezeln futterten.
„Die vielen Boote … einfach schön“, sagte Caro und machte eine Geste, die den ganzen See miteinbezog.
„Sie müssen den See an Fronleichnam erleben“, meinte Peter. „Beim Fest des Heiligen Alfons ist Saarbrücken-Nassau eine Feststadt. Überall wird gefeiert. Die Prozession ist großartig und die Kirmes am See kann es mit der in Aachen aufnehmen. Aber das Großartigste ist das Kerzenschwimmen am Abend, wenn es dunkel wird. Dann lassen alle Leute kleine Brettchen mit Teelichtern auf dem See schwimmen. Der ganze See ist ein leuchtendes Lichtermeer. Das müssen Sie sich ansehen, Fräulein Caroline.“ Er schaute sie fragend an: „Es ist nächste Woche. Darf ich mir erlauben, Sie einzuladen?“
Caro blieb das Herz stehen. Ein neues Date! Mit Peter!
Sie wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus. Sie konnte nur nicken und tat so, als kaue sie auf ihrem Puddingstückchen herum.
„Danke“, sagte Peter schlicht und unter seinem Blick wurde ihr heiß. „Das ist sehr nett von Ihnen, Fräulein Caroline.“
„Von Ihnen auch.“ Endlich bekam sie die Lippen auseinander.
Den Rest der Ausflugstour schwebte sie. Sie flog.
Nach dem Picknick segelten sie zum Anleger zurück und setzten ihre Radtour fort. Sie umrundeten den See, besichtigten eine alte Kapelle und sie kamen an der Kirche des Heiligen Alfons vorbei.
Schließlich ging es wieder nach Norden zurück. Peter begleitete Caro bis zu ihrer Pension. Sie stiegen ab und schlenderten rund um das Gebäude herum.
An der Flussseite ragte ein Mast aus Gusseisen auf. Oben ragte ein Arm wie ein Galgen zum Fluss hin.
„Da hing mal das große Schild dran „Zum Saarcafe“ in dunkelgrünem Emaille und mit weißer Schrift“, erklärte Peter.
Caro reckte sich an dem Pfahl in die Höhe. Sie erreichte den Galgen gerade so mit den Händen: „Hängt da ein Schild nicht arg tief? Man kann sich den Kopf stoßen.“
Peter lachte: „Aber nein, Caroline. Es ragt ja nicht in den Treidelpfad hinein und auf dem Schild war unten eine Tafel angebracht. Dort hat Frau Backes immer das Angebot des Tages mit Kreide aufgeschrieben. Deshalb ist der Schilderhalter so tief angebracht. Sie hat das so bestellt.“
Sie standen einander gegenüber und keiner wusste, etwas zu sagen.
„Das Alfonsfest ...“, begann Caroline zögerlich. „Wie … wo wollen wir uns treffen?“
„Ich dachte, ich hole Sie um halb neun am Luftschiffhafen ab, wenn es Ihnen Recht ist“, sagte Peter. „Ich buche alles im Voraus. Mein Vorschlag wäre: morgens mit der Bimmelbahn nach Saarlouis. Umsteigen in einen Waggon Erster Classe der Regelspur und auf der anderen Saarseite nach Saarbrücken-Nassau. Unterwegs könnten Sie ihr neuerworbenes Anwesen von der gegenüberliegenden Saarseite im Vorbeifahren anschauen. In Saarbrücken gehen wir zu Fuß oder wir nehmen die Straßenbahn.“ Er rollte mit den Augen: „Falls wir einen Platz drin bekommen. Am Fest des Heiligen Alfons ist in Saarbrücken die Hölle los. Da steppt der Bär, das kann ich Ihnen sagen. Das Wichtigste aber ist: Abends fahren wir auf einem Dampfer zurück nach Saarlouis und zwar erst, wenn es dunkel ist. Dann erleben Sie den See mit den zehntausenden Lichtern hautnah.“
„Kann man auf dem Fest auch irgendwo tanzen?“ wollte Caro wissen.
Peter riss die Augen auf: „Machen Sie Witze? Das gesamte Fest ist ein einziger Tanz. Überall spielen kleine und größere Orchester. Es gibt kleine Combos von Privatleuten, die für die Menschen musizieren und warten Sie erst einmal ab, wenn sie die Musik der Franznen hören. Das sind französische Einwanderer. Ich sage Ihnen, die Musik geht ins Blut. Die ist noch wilder als ein schneller britannischer Buggie-Wuggie.“
„Ich freue mich schon darauf“, sagte Caro. „Weil, ich tanze nämlich für mein Leben gerne.“ Auch wenn ich es erst seit wenigen Tagen kann. Es ist himmlisch. Und mit dir, lieber Peter wird es erst recht himmlisch. Ach, wäre nur schon nächste Woche!
Sie verabschiedeten sich voneinander und jeder radelte in seine Richtung davon.

*

Caro schwebte auf Wolken. Zusammen mit Ulli und Gertrud bereitete sie sich auf den Abend vor. Sie brausten gemeinsam und danach wuschen sie ihre Haare vor Caros Häuschen. Ulrike hatte einen Korb voller Kräuter und Wiesenblumen gepflückt und in heißem Wasser angesetzt. Mit dem süß duftenden Sud weichten sie ihre Haare ein und ließen sie an der Luft trocknen. Das Blumenkräuterbad machte die Haare weich und duftig.
Caro hielt sich eine Strähne vor die Nase: „Hmm! Das duftet gut!“ Sie streckte die Arme aus und tanzte über das kurzgeschnittene Gras vor dem Haus. Sie trug nur ihr langes Unterhemdchen und sonst nichts. Barfuß drehte sich sich im Kreis. Irgendwo ein paar Häuser weiter spielte jemand auf einem Akkordeon einen Ländler.
Ein Fahrrad hielt am Häuschen. Es war die Eule. Er stieg ab: „Genug gearbeitet für heute. Ich geh jetzt auch brausen und dann kann der Abend losgehen.“ Er schnappte sich Caro und tanzte mit ihr übers Gras.
„Ich hab nichts an“, protestierte sie.
Er hielt sie beim Tanzen ein wenig von sich weg und schaute an ihr herunter: „Von mir aus dürfte es ruhig noch dürftiger in Sachen Bekleidung zugehen.“ Er grinste anzüglich: „Ich habe dir doch gesagt, dass ich auf Möpse stehe.“
„Mar-tin Wel-ter!“ rief sie in gespielter Strenge. „Was erfrechst du dich du ferkeliger Welcher!“
Er packte sie und wirbelte mit ihr zum Klang des Akkordeons im Kreis: „Ich bin eben der Frechfederich.“ Er näherte sein Gesicht dem ihren: „Du siehst toll aus. So richtig glücklich.“
Das Lied endete. Martin ließ Caro los: „Ich muss los. Die Brause ruft. Bis später.“ Er zog ab.
Gertrud kam zu Caro und stellte sich neben sie. Sie schauten zu, wie die Eule ihr Rad im Schuppen verstaute und in seinem Häuschen verschwand.
„Der kann gut tanzen“, sagte Gertrud. Es klang beiläufig, aber Caros Antennen hatten sich enorm geschärft, seit sie in Bayern war.
„Ja, kann er“, sagte sie. Sie blickte Gertrud von der Seite an: „Er ist ein großer Luftschiffbegeisterter. Er interessiert sich für die Technik und die Größe und die Motoren und all den Palawatsch.“
„Ich bin die Assistentin des Hauptmaschinisten“, sagte Gertrud. Noch immer schaute sie zum Haus von Martin hinüber, obwohl der längst verschwunden war.
„Das solltest du ihm erzählen. Ich wette, er kann gar nicht genug davon kriegen, dir zuzuhören.“ Caro hängte sich bei Gertrud ein: „Komm, lass uns unsere Kleider anziehen.“
Der Abend begann. Gertruds Luftschiffkollegen hatten neben der Kantine Tische und Bänke aufgestellt. Aus der Kantine rollte ein nicht endender Strom an Speis und Trank. Eine Band mit ständig wechselnder Besetzung machte Musik. Irgendjemand der Anwesenden hatte immer Lust, auf seinem Lieblingsinstrument rhythmischen Radau zu veranstalten oder Lieder zu grölen.
Der Rest der Meute saß zu Tisch und stopfte sich voll und trank dazu oder man tanzte ausgelassen auf der Wiese. Vor den Luftschiffhallen gellte der Pfiff eine Lokomotive. Die Bimmelbahn lief ein.
Caro tanzte abwechselnd mit Männern und auch mit Frauen. Bloß mit Gertrud konnte sie nicht tanzen. Martin hatte die schwarzhaarige Luftschiffershauptmaschinistenassistentin mit Beschlag belegt und ließ sonst keinen an das Mädchen heran.
Caro lächelte in sich hinein. Schön, dass Martin sich auch amüsierte. Sie hatte ein wenig ein schlechtes Gewissen gehabt. Nun stand sie am Rand der Tanzfläche und trank ein Glas Apfelwein und schaute den Tanzenden zu. Jemand stellte sich neben sie: „Guten Abend, Fräulein Caroline.“
Caro traf beinahe der Schlag: „Peter!“ Um ein Haar wäre ihr das Glas aus der Hand gefallen. „Sie hier?“
Er lächelte entschuldigend: „Ich hatte vergessen, Sie zu fragen, in welchem Haus sie logieren und bin gekommen, um nachzufragen. Nicht dass ich Sie am Fest des Heiligen Alfons nicht finde.“
Sie schaute ihn an.
Er lächelte spitzbübisch: „Sie glauben mir doch hoffentlich?“
„Aber sicher“, sagte Caro. „Möchten Sie ein Glas Apfelwein? Oder müssen Sie später noch mit dem Rad fahren?“
„Ich habe die Bimmelbahn genommen“, antwortete Peter prompt. „Nur für den Fall …“ Er hüstelte: „Falls ich zu einem, hmm … Getränk eingeladen werden sollte. Könnte ja sein, nicht wahr?“
Sie lachte ihn an: „Aber ja. Ich lade Sie ein.“ Caro war im siebten Himmel. Sie tranken Apfelwein und danach tanzten sie miteinander. Es war der schönste Abend in Caros bisherigem Leben.

04.11.2014 17:32 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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