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Stefan Steinmetz
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Dabei seit: 10.02.2006
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Der Auszug aus Heimstadt(7) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

18.

"Aufstehen du Faulpelz!" befahl Sanja und kitzelte Derk, der noch immer in die Decke eingerollt da lag, mit den Zehen in den Rippen. Benommen setzte er sich auf.
"Was...", brummte er orientierungslos. Dann erinnerte er sich und sah zu Sanja auf. Sie stand unbekleidet vor ihm.
Er bewunderte ihren nackten Körper, den er am Abend zuvor genossen hatte. Sie las in seinen Augen, was er dachte und kniete neben ihm nieder, um ihn zu küssen.
"Ich liebe dich Sanja", flüsterte er.
"Ich dich auch", entgegnete sie und kuschelte sich in seine Arme. Derk spürte, wie das süße Gefühl vom Vorabend zurückkam. Er schaute auf seine Armbanduhr: "Sanja! Es ist gleich sechs Uhr! Wir müssen weiter, sonst erwischen uns die Polits wirklich noch!"
Sie verschloß seinen Mund mit Küssen.
"Lass sie!" flüsterte sie. enn wir Pech haben, kriegen sie uns so oder so." Er sah das aufkommende Verlangen in ihren dunklen Augen. Er mußte zugeben, daß sie recht hatte und ließ sich mit ihr im Arm auf die Decke zurücksinken.
"Pfeif auf Heimstadt!" dachte er.

Erst eine Stunde später brachen sie auf und ihre gerade erwachte Liebe schwang wie ein unsichtbares Band zwischen ihnen. Wieder zog sich der Aufstieg lang hin.Nach längerer Zeit erreichten sie wieder einmal eine Öffnung in der Wand. Daneben war ein geprägtes Schild aus Alluminiumblech an die Wand geschraubt. Die Stahlschrauben, mit denen das Schild befestigt war, sahen aus, wie groteske Rosen aus Rost; dunkel. braune Korrosionsblüten.
SEKTOR 2 ab SEKTOR 1 auf stand darauf. Die rote Farbe des Schildes war fast vollständig abgeblättert.
"Wir befinden uns also zwischen Sektor 2 und Sektor l", sagte Derk. Þas bedeutet, daß wir bald oben sind. Sanja, bald sind wir frei!"
An der nächsten Öffnung in der Wand stand: SEKTOR 1 ab – DEKONDECK auf.
"DEKONDECK? Was bedeutet das?" fragte Derk verwundert. "Geht es denn weiter?"
"Dieses Wort stand auch auf dem Bedienungspaneel im Fahrstuhl", meinte Sanja. "Es war der Knopf über dem für Sektor 1. Der letzte Knopf."
"Dann muß dort der Ausgang zur Oberfläche sein", sagte Derk.
Vierzig Minuten später endeten die Stufen vor einer rostigen Stahltür mit der Aufschrift DEKONDECK. Derk drückte die Klinke herunter. Die Tür öffnete sich nach innen ins Treppenhaus. Kreischend bewegte sie sich in ihren Angeln.
"Die hat schon seit langer Zeit kein Mensch mehr benutzt", meinte Sanja.
Hinter der Tür lag Schwärze. Etwas Großes blockierte den Ausgang. Derk klopfte dagegen.
"Das muß ein Schrank oder etwas Ähnliches sein", sagte er und stemmte sich dagegen. Sanja half ihm. Langsam rückte das Hindernis zur Seite.
Helles Licht aus Sonnenlampen blendete sie, und eine dichte Staubwolke rieselte auf sie herab, so daß sie niesen mußten. Sie lauschten auf Geräusche. Es blieb totenstill. Mit vereinten Kräften schoben sie den Schrank vollends zur Seite und betraten den Raum hinter der Tür.



19.


as ist denn das?" fragte Derk erstaunt. "Das sieht ja aus, wie eine Mischung aus Lagerhalle und Waschraum!“
In der Tat. Vor ihnen öffnete sich eine große, helle Halle. Ihre Decke war viel niedriger als die Decke in Sektor 7. Viele der dort angebrachten Sonnenlampen brannten nicht mehr. Der Raum war mit Regalen und seltsamen Apparaturen vollgestopft. Manche sahen aus, wie Waschmaschinen, andere ähnelten Duschkabinen. Aus Plasikrohren an der Decke und den Seitenwänden der Kabinen ragten Spritzdüsen.
An den Wänden der Halle standen hohe Regale. In ihren Gefächern lagen seltsame Meßgeräte und olivgrüne Atemmasken mit gläsernen Sichtfenstern. An Stangen hingen mehrere Dutzend dunkelgrüner Gummianzüge. In den Gefächern der Regale lagen Handschuhe und Stiefel aus dem gleichen Material.
"Wie im Klimaraum im Inkomp", hauchte Sanja. "Bloß daß das Zeugs hier dunkeloliv ist statt blau."
nd alt ist es!“ Derk hob eine Maske hoch. Das Gummimaterial war spröde und brüchig. "Wer weiß, wie lange das alles schon hier herum liegt."
Im Gefach neben den Masken standen 10 Liter Kanister mit dem Aufdruck DEKONTAMINATIONSKONZENTRAT A16, MIT DREI TEILEN WASSER VERD¼NEN.
Þaher der Name DEKONDECK!“ sagte Sänja. "Diese ganzen Ausrüstungen waren dazu bestimmt, Menschen zu schützen, die nach draußen in die Hölle gingen, als es noch gefährlich war."
Sie liefen zwischen den langgezogenen mannshohen Regalen,herum.
Derk sah das Schild zuerst: ZUR AUSSENSCHLEUSE I. Ein gelber Pfeil zeigte die Richtung an.
"Dort müssen wir hin", sagte er zu Sanja. "Dort geht es nach draußen. Siehst du die farbigen Linien am Boden? Wir müssen der gelben folgen, weil der Pfeil auf dem Schild auch gelb ist."
Auf dem Kunststoffboden waren verschiedenfarbige Linien aufgemalt. Sie waren jeweils fünf Zentimeter breit und verliefen an Abzweigungen genau im rechten Winkel. Derk erinnerte sich, im Inneren des Industriekomplexes ähnliche Linien gesehen zu haben. Diese hier aber waren von einer dicken Staubschicht bedeckt.
"Hier war schon seit Ewigkeiten niemand mehr", meinte er.
Sie folgten dem gelben Streifen. Nach dreißig Metern bog er nach links in eine weitere Halle ab, die genau so geräumig war wie die erste.
"Gütiger Himmel! Was IST das?" rief Sanja verblüfft. Ungläubig bestaunten sie die seltsamen Apparate in der Halle. Da gab es mehrere kastenförmige Metallfahrzeuge mit dicken Ballonreifen. Auf einem Schild stand: GEPANZERTER GELANDEKRIECHER MIT DIESELMOTOR REICHWEITE: 500 KILOMETER BEWAFFNUNG: 2 SCHWERE MG~7,62 / EINE BORDKANONE 3,7 CM. Die Reifen der großen Wagen waren platt, das Gummi alt und bröckelig, wie das der Masken und Schutzanzüge. Manche der Fahrzeuge hockten auf nackten Felgen da. Die Plexiglasscheiben der Fahrerkabinen waren blind.
Sanja und Derk kamen an zwei riesigen stählernen Ungetümen vorbei, die auf mehr als einem Dutzend Achsen ruhten. Schwere metallene Ketten liefen rund um alle Räder. Aus einem Höcker auf der Oberseite ragte ein gewaltiges Kanonenrohr. KAMPFPANZER LEOPARD III / ABC TAUGLICH, erklärte das dazugehörige Schild. Wie die Geländekriecher trugen die Panzer ein Muster aus olivgrünen, braunen und schwarzen Farbflecken. TARNANSTRICH erklärte ein Schildchen.
"Das sind Fahrzeuge, die sich von selbst bewegen können", erriet Derk. "Genau wie der Fahrstuhl im Inkomp. Bloß daß sie statt Strom eine andere Energie benutzen: DIESEL."
"Diesel? Was ist das?" fragte Sanja.
"Ich habe nicht die geringste Ahnung", gestand Derk. "Nun sieh dir DAS an!"
Sie standen vor einem großen Gerät auf Kufen. Es war eine teilweise verglaste Kugel aus Metall mit einem Schwanz aus Strebwerk an dessen Ende ein kleiner Propeller hing. Über der Kugel selbst dräuten drei große, lange Flügel. Derk uns Sanja erkannten vier Sitze im Inneren der Kugel. Sanja wischte den Staub von dem Erklärungsschild: LEICHTER HELIKOPTER FLUGHOHE: MAXIMAL 2500 METER REICHWEITE: 1200 KILOMETER BEWAFFNUNG: 2 LEICHTE BORD MG
1 LUFT LUFT RAKETENSYSTEM
1 LUFT BODEN RAKETENSYSTEM
"Derk! Weißt du was das ist! Ich ... ich werd verrückt! Du kennst doch die Flugschrauber, die wir uns manchmal aus Gänsefedern bastelten. Man zieht sie auf und der sich abspulende Gummizug treibt sie an. Dadurch fliegen sie in die Höhe. Diese Maschine befolgt das gleiche Prinzip, nur daß damit MENSCHEN fliegen können!"
"Unsere Vorfahren wußten unglaublich viel über die Technik!" sagte Derk ehrfürchtig. "Aber wenn sie so klug waren, warum ließen sie dann zu, daß die Erde vernichtet wurde? Das kann ich mir einfach nicht erklären."
Die gelbe Linie führte an dem Helikopter vorbei und mündete in einen breiten Gang, der leicht aufwärts führte. Nach zwanzig Metern standen sie vor einer Doppelsegmenttür, die mindestens fünfzehn Meter breit war.
"Breit genug, um die Fahrzeuge und sogar den Flugschrauber durchzulassen", konstatierte Sanja. "Sieh mal. Da ist auch eine kleine Tür." Die kleine Tür und das Doppeltor waren aus Stahl und gelb gestrichen. Ein schwarzes Symbol prangte auf den Toren.
"Das ist das gleiche Symbol wie auf dem Inkompschlüssel", sagte Sanja.
"Zeig her." Derk nahm die Codekarte aus der Tasche seines Hemdes und verglich die Zeichen. "Stimmt", bestätigte er. "Es ist ein und dasselbe Symbol. Das Zeichen für die Hölle!"
"Dort an der kleineren Tür ist wieder ein Eingabeschlitz für den Inkompschlüssel“, sagte Sanja.
Derk entdeckte das Bedienungspaneel, das mit einem kleinen Bildschirm ausgestattet war. Er steckte die Codekarte in den Schlitz.
Sofort fing eine rote Warnlampe an zu blinken. Auf dem Bildschirm erschien die Sätze: ACHTUNG! DER INHABER DIESER KARTE DARF NUR MIT SONDERGENEHMIGUNG DIE AUSSENSCHLEUSE BEDIENEN. BITTE SPEZIALCODE EINGEBEN!
"Verdammt! Was nun?" rief Derk. Feindselig starrte er das Paneel mit den Drucktasten an. "Es darf doch wohl nicht wahr sein, daß wir jetzt, wo wir so weit gekommen sind, an diesem verfluchten Zahlenschloß scheitern!" Versuchshalber drückte er einige Knöpfe. Alles was ihm das einbrachte, war die Auslösung eines schrillen Alarmtons, der auf und abschwoll.
"Halt! Stehenbleiben!" bellte es aus dem hinteren Teil der Halle.
Sanja schaute Derk entsetzt an: "Polits! Nun schnappen sie uns doch noch! Sie werden uns sicher umbringen!"
Derk schloß sie in die Arme und sah haßerfüllt der Politstreife entgegen. Es war ein Korporal mit zwei Wachpolits. Sie trugen Druckluftpistolen. Es waren Nadlerwaffen, die einen Regen lähmender Nadeln verschosssen. Der Korporal grinste hämisch, als er sich näherte.
"Da sind ja unsere entflogenen Vögelchen!" rief er vergnügt. "Also hatte der hochverehrte Oberpriester Fohler tatsächlich recht. Gepriesen sei seine Weisheit. Aber woher seid ihr gekommen? Am Hauptschacht könnt ihr nicht rausgekommen sein, denn dort standen wir die ganze Zeit über Wache. Seid wohl mit einem der kleinen Nebenlifte hochgefahren was? Ganz schön clever Kinder! Zuerst dachten alle, ihr wäret beim Absturz des Fahrstuhls verreckt, aber Fohler gab keine Ruhe. Er meinte, dazu seid ihr zu intelligent. Er behielt recht, wie man sieht. Gut so. Ihr sollt nämlich dafür büßen, was ihr unseren Kameraden angetan habt. Aber vorher werden wir zuerst genau von euch erfahren, wie euch die Flucht gelungen ist. Wir werden es erfahren! ALLES!!! Da macht euch mal keine Illusionen.Kinder. Wenn die gütige Heimkirche etwas Wissenswertes von abtrünnig gewordenen Gläubigen erfahren will, dann ERFMRT sie es auch! Notfalls lassen wir die Güte eben weg! Hahahahaha!"
Derk machte eine kleine Bewegung. Sofort richtete der Polit seine Druckluftpistole auf ihn.
"Mach keine Dummheiten Junge!" schnauzte er. "Ich habe keine Lust, dich bis zum Aufzug zu tragen! Du sollst gefälligst selbst laufen du verdammter Ketzer!"
Derk war außer sich vor Zorn und Verzweiflung. Sie waren so nahe dran gewesen! Sanja schluchzte leise und klammerte sich an ihm fest.
"Nun seht euch dieses hübsche Paar an!" gröhlte der Korporal. "Ihr beide wolltet wohl in der Schleuse rumvögeln was?" Seine beiden Untergebenen lachten hämisch. "Aber ihr habt da ein kleines Problem nicht wahr?" fragte der Korporal und beugte sich ganz nahe zu Derk und Sanja vor. "Bevor ihr euer Nümmerchen SCHIEBEN könnt, m?t ihr erst mal die richtige Nummer DRxKEN!" Die Wachpolits bogen sich vor Lachen.
"Wirklich Pech für euch, daß ihr bloß einen simplen Gildenschlüssel habt", säuselte der Korporal mit falschem Bedauern. "Damit kann man nicht in die Schleusenkammer! Es sei denn, man weiß die Spezialnummer. Leider wisst IHR nicht, wie sie lautet! ICH dagegen schon!" Er grinste seinen Untergebenen zu. "Es ist furchtbar kompliziert, nicht wahr Leute?"
Jetzt lachten die Wachpolits Tränen.
"Kinderchen was für ein Jahr haben wir denn?" prustete einer von ihnen. "Tja", sagte der Korporal süffisant. "So einfach wäre das gewesen. Der Code lautet 980. Genau wie das Jahr, das wir gerade haben. Das ist so genial, weil kein Mensch auf die Idee käme, daß wir wirklich so simple Zahlenkombinationen verwenden würden. Hahaha! Aber wir tun das schon seit Jahrhunderten! Leider zu spät für euch."
Derk folgte einem inneren Reflex, als er die Zahl 980 mit seiner Schuhspitze in den tiefen Staub schrieb. "Oho! Schreiben kann er auch schon!" rief der Polit. "Wirklich toll Junge! Das ist aber wohl das Einzigste, was du kannst was? Heh Mädchen! Warum verbringst du nicht mit mir ein nettes Schäferstündchen? Ich bin bestimmt besser, als dein grüner Bubi. Der hat ja noch die Milchzähne!" Wieder Lachen.
Sanja presste die Lippen zusammen. "Na was ist? Komm schon Fräulein! Wenn du nett zu uns dreien bist, kriegst du zur Belohnung einen schnellen und sauberen Tod. Wir können nämlich auch anders." Sanja rührte sich nicht.
"Wenn du nicht freiwillig mitmachst, holen wir uns unser Vergnügen mit Gewalt du kleine Nutte!" zischte der Polit. "So oder so bist du dran!"
Derk wurde plötzlich ganz ruhig. Der Korporal hatte drei entscheidende Fehler begangen: Erstens hatte er die Codenummer verraten; zweitens wollte er Sanja etwas antun und drittens glaubte er, Sanja und Derk würden keinen weiteren Fluchtversuch mehr wagen, weil sie zu eingeschüchtert waren. Letzteres war der entscheidenste Fehler.
Derk verständigte sich durch einen kurzen Blick mit Sanja. In ihren Augen las er, was er selber dachte: Lieber gleich hier sterben, als der Heimkirche in die Hände zu fallen, die sie zuerst foltern würde, bevor man sie ermordete. Zudem bestand eine winzige Chance, zu entkommen. Derk handelte.
Er rammte dem dicht vor ihm stehenden Korporal mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft das Knie in die Hoden. Der Polit klappte zusammen wie eine Mausefalle. Bevor die beiden anderen Wächter der Heimkirche überhaupt erfassten, was ablief, riß Derk dem Fallenden die Druckluftpistole aus der Hand und schoss.
Fauchend verschoß die Waffe ihren lähmenden Nadelregen. Die Wachpolits wurden umgemäht wie Grashalme. Schnell schoss Derk auch noch auf den Korporal.
Verwundert schaute er Sanja an. "Es war so EINFACH!" flüsterte er verblüfft. "Ich dachte immer, die Polits seien eine speziell ausgebildete und trainierte Kaste. Dabei benahmen sie sich dümmer als Schafe."
"Sie glaubten, uns ganz sicher zu haben", sagte Sanja. "Komm Derk. Lass uns nach draußen gehen, ehe weitere Polits auftauchen. Ein zweites Mal haben wir nicht solch ein Glück."
"Recht hast du", pflichtete Derk ihr bei. Er zog die Codekarte aus dem Schlitz und führte sie erneut ein. Noch einmal blinkte die rote Warnlampe auf und der Computer verlangte die Geheimnummer. Derk tippte 980 ein. Es zischte und die Tür der kleineren Schleuse glitt zur Seite. Derk und Sanja traten durch die Öffnung.
Sie fanden sich in einem zylindrischen Raum von fünf Metern Länge, an dessen Ende eine weitere Tür lag. Auch sie war gelb lackiert und trug das altertümliche Gefahrensymbol. In der Wand war ein großer roter Druckknopf versenkt. SCHLEUSENAKTIVIERUNG stand auf einem Schild daneben.
Derk schaute Sanja an: "Nun denn..." Er drückte auf den Knopf. Die Tür durch die sie gekommen waren. Sie schloß sich zischend. Kaum war sie zu, rumpelte die Tür auf der anderen Seite quietschend zur Seite.
Plötzlich erscholl eine Lautsprecherstimme: "Bitte tut das nicht Kinder!"
"Das ist Oberpriester Fohler", wisperte Sanja und hängte sich an Derks Arm.
"Was wollen Sie?" fragte Derk barsch. "Geht nicht nach draußen Kinder! Dort ist noch alles verstrahlt! Es ist wahr, daß der zeitweilige Aufenthalt dort draußen nicht schädlich ist, aber über einige Wochen hinaus wird die Strahlung euch umbringen. Glaubt mir!"
"Das glaubst du ja selber nicht, du dreckiger Mörder!" schrie Derk erbost. "Du lügst, so wie du und deinesgleichen schon seit Jahrhunderten lügen! Ich glaube dir kein Wort! Ich weiß es nämlich besser!“
Der Heimpriester seufzte gekünstelt: "Wir haben hier doch alles, was ihr zum Leben braucht Kinder: Frische Luft, Elektrizität, Wärme, satt zu essen, ein ruhiges komfortables Leben; nicht zu vergessen die hervorragende medizinische Versorgung. Wollt ihr dies alles aufgeben für das was ihr Freiheit nennt? Was ist denn schon Freiheit? Daß ich gehen kann, wohin ich will? Versteht ihr das unter Freiheit? Dann wollt ihr also ewig umherwandern ohne je ein richtiges Zuhause zu finden? Denn ein Haus zu bauen, um darin besser und komfortabler zu leben als draußen in der unwegsamen Wildnis bedeutet, daß ihr dafür euere Freiheit zumindest zu einem Teil aufgeben müsst! Dann wollt ihr regelmäßig satt zu essen haben. Nun dann könnt ihr euch nur dort aufhalten, wo es dieses Essen auch gibt und schon wieder verliert ihr ein Stückchen eurer heißgeliebten Freiheit. Dann werdet ihr lernen, daß es für den Menschen sehr viel leichter ist, zu überleben, wenn er in größerer Anzahl zusammen lebt. Aber wo viele zusammenleben, da muß jeder einzelne auf Freiheiten verzichten und auf seine Mitmenschen Rücksicht nehmen. Ihr seht, je besser es euch gehen soll, umso mehr sogenannte Freiheiten müsst ihr aufgeben."
Sanja schaute Derk unsicher an. "Es ist etwas dran an dem, was Fohler sagt", flüsterte sie.
"Ja Sanja. Du hast Recht. Es ist etwas dran", sprach der Priester prompt.
"Ganz schön empfindlich das Abhörmikrophon!" dachte Derk bei sich. Laut sagte er: "Was sie da sagen, stimmt nur zu einem gewissen Teil. Natürlich muß man sich einer Gemeinschaft anpassen, wenn man darin leben will, aber Anpassung und Unterdrückung sind zwei grundverschiedene Dinge. Wenn das Leben in Heimstadt so toll ist, warum kann sich die Heimkirche nicht erlauben, die Aussenschleuse für alle zu öffnen? Ich sage dir warum, Priester! Weil dann etliche Leute Heimstadt verlassen würden! Weil diejenigen, die regelmäßig nach draußen gingen, bei ihrer Rückkehr Dinge erzählen könnten, die die Macht der Heimkirche untergraben würden! Euch geht es doch nicht um das Wohlergehen der Bürger Heimstadts! Euch geht es nur darum, eure Macht aufrecht zu erhalten!"
"Oh nein mein Sohn", widersprach Oberpriester Fohler sanft und gütig. "Wir wollen die Bewohner Heimstadts vor den üblen Einflüssen der obigen Welt bewahren. Sie ist schlecht, Derk! Du wirst es sehen und am eigenen Leib erleiden, wenn du nicht auf mich hörst mein Junge. Bitte kommt wieder herein ihr beiden. Wir werden in aller Ruhe über alles reden."
"In aller Ruhe?" fragte Sanja scharf. "Du meinst wohl: In aller Abgeschiedenheit von den Menschen in den Sektoren! Auf einer Folterbank irgendwo in einer geheimen Sektion des Inkomps! Deine dreckigen Polits haben es selbst gesagt!"
"Nein liebe Sanja!" Jetzt klang Fohler ehrlich verzweifelt. "Hör mich an meine über alles geliebte Seelentochter! Die Polits sind eine speziell geschulte Truppe von Wächtern des Seelenheils von Heimstadt. Hast du jemals einen Polit gesehen, der einem Menschen in Heimstadt weh getan hat? Sei ehrlich Mädchen! Hast du das?"
Sanja dachte nach. Zu ihrer grenzenlosen Verblüffung mußte sie sich eingestehen, daß so etwas tatsächlich noch nie geschehen war. Wenn jemand gegen die Gesetze verstieß, wurde er von den Polits abgeholt. Die Männer machten grimmige Gesichter und wedelten mit den Druckluftpistolen umher.
Vor vielen Jahren einmal, so hatte ihr Timos Großvater eines Tages erzählt, wollte ein Mann, der gestohlen hatte, nicht mitkommen. Da schoßen die Polits mit den Druckluftpistolen auf ihn und lähmten ihn somit. Sie nahmen ihn mit und machten ihm im Inkomp den Prozess. Zur Strafe für seine Tat durfte er an keiner Weihnachtsfeier teilnehmen es war damals gerade Weihnachtszeit und er musste einen Monat lang täglich zwei Stunden extra arbeiten, um seine Schuld abzub?en. Danach wurde er wieder in die Volksgemeinschaft aufgenommen. All das ging Sanja jetzt im Kopf herum und sie erkannte, daß es Derk nicht besser erging.
Sie konnten wirklich nicht behaupten, daß die Polits jemals wirklich brutal gewesen seien.
Fohler deutete ihr Schweigen richtig.
"Da seht ihr Kinder!" sprach er eindringlich. "Ich rede recht. Die Polits tun niemandem etwas! Die KòNEN es garnicht! Sie sind auf Frieden und Achtung des menschlichen Lebens gedrillt! Wenn sie so barsch auftreten, dann wenden sie nur einen alten psycholigischen Trick an: Mehr scheinen als sein. Mit ihrem strengen Gehabe verschaffen sie sich den nötigen Respekt. Ihr habt euch doch eben auch ganz schön geduckt, als ihr erwischt wurdet oder? Alles Psychologie! Ich flehe euch an, geht nicht hinaus! Ihr werdet unglücklich werden!"
Derk schüttelte den Kopf wie um die s?en Reden des Heimpriesters aus den Ohren zu schütteln. Das konnte doch nicht wahr sein! Nein! So leicht gab er nicht auf! Fohler winselte doch nur so herum, weil Sanja und Derk direkt vor der Freiheit standen. Er schaute Sanja hilfesuchend an. Aber die war auch hin und hergerissen.
arum sollte er uns festhalten wollen?“ überlegte Derk. Ùuf zwei oder drei Dumme mehr kommt es ihm doch sicher nicht an, noch dazu wo wir praktisch schon weg sind. Sollte er wirklich an das glauben, was er da sagt?“
Sanja stand genauso belämmert da. Mit dem schönen Leben hatte Fohler eigenlich recht. Sie hatte dieses Leben in Heimstadt geliebt. Aber der Betrug an den Menschen! Warum dieser schlimme Betrug? Sie stellte Fohler die letzte Frage laut.
"Ach Sanja mein Liebes, so kann man das nicht nennen", antwortete der Heimpriester abwehrend. "Ich glaube, du weißt selbst, daß die meisten Leute gar nichts vom Draußen wissen wollen. Die Aussicht, Heimstadt dem OBEN zu öffnen und hinaus gehen zu können, würde sie nicht erfreuen sondern entsetzlich erschrecken."
Derk zog scharf die Luft ein. Zutiefst verblüfft starrte er Sanja an.
"Genau das selbe haben wir beim Picknick gesagt!" hauchte Sanja. Jetzt wurden sie wirklich unsicher. Fohler schien es wirklich ernst zu meinen.
Der Lautsprecher, aus dem Fohlers Stimme kam, knackte erneut. "Niemand will euch etwas Böses Kinder", sprach der Heimpriester eindringlich. "Kommt zurück zu uns. Verlasst uns nicht."
"Wir wollen aber nach draußen!“, sagte Derk. Er klang wie ein ungezogener, störrischer,.kleiner Junge. Das fiel ihm sogar selbst auf.
Wieder das Knacken im Lautsprecher. Es klang irgendwie doppelt. Derk sah sich um und entdeckte ein kleines schwarzes Sprechfunkgerät am Boden liegen. Es mußte hereingeruscht sein, als er und Sanja die Schleuse betraten. Er erinnerte sich, daß es dem Korporal vom Gürtel gefallen war, als er ihn in die Hoden getreten hatte. Wahrscheinlich waren er oder Sanja dagegen getreten, als sie in die Schleuse hineingegangen waren.
"Glaubt ihr mir nun meine lieben Kinder?" fragte Fohler. Seine Stimme war eine Mischung aus Angst und Hoffnung.
"Ich...", setzte Sanja an, wußte aber nicht, was weiter reden.
"Oh bitte glaubt mir!" flehte Fohler.
Plötzlich schoss Derk ein neuer Gedanke durch den Kopf. Er schalt sich einen Narren, daß er nicht schon früher darauf gekommen war. "Was ist mit den Leuten, die von den Polits abgeholt wurden und nicht mehr aus dem Inkomp zurückkamen?" fragte er scharf.
"Sie leben in Sektor 1. Die meisten dieser Leute wollten die Tatsache, daß Heimstadt ihre einzig wahre Heimat ist, nicht so ohne weiteres akzeptieren. Wir boten ihnen an, von da ab in Sektor 1 zu leben, von wo aus sie zur Oberfläche gehen können, so oft sie wollen, ohne daß der Rest der Gemeinde der Gläubigen etwas davon erfährt und in Angst und Schrecken versetzt wird. Natürlich konnten wir den anderen Menschen niemals erklären, wohin diese Leute gegangen waren."
Diese Antwort war so prompt erfolgt, daß Derk und Sanja an ihrem Wahrheitsgehalt kaum zweifeln konnten.
Sanja erinnerte sich an den Picknicktag zurück. Ja es lag nahe, den Leuten mit "Heimkirchenscheuklappen" solch eine Konklave moderner Ansichten zu verschweigen. Es würde sie in tiefe Unruhe versetzen. Vor ihrem inneren Auge entstand das Bild von Sektor 1. Dort lebten die Menschen genauso gemütlich wie in allen anderen Sektoren Heimstadts; mit dem Unterschied, daß sie jederzeit an die Oberfläche gehen konnten, um sich dort umzusehen. Wahrscheinlich wanderten von Zeit zu Zeit einige ins Oben aus, aber die meisten blieben sicher ihrer Heimat treu und gingen nur nach oben, um zu forschen. Ein Leben ganz nach ihrem Geschmack.
Þenkt doch auch einmal an euere Familien Kinder", fing Fohler wieder an. Wieder knackte der Lautsprecher. Es klang so, als würde der Priester ihn zwischen seinen einzelnen Sätzen ständig an und abschalten. Fast jedesmal, wenn der Lautsprecher verstummte knackte der kleine Lautsprecher des Funkgerätes am Boden.
"Ja die Familien!" redete Fohler weiter. "Denkt an sie! Was würden sie um euch trauern! Wollt ihr das euren Eltern und Geschwistern antun? Sanja! Du liebst doch deine Familie über alles! Was soll ich deinem Vater und deiner Mutter sagen, wenn sie mich nach dir fragen? Wie wird Ynette um dich weinen! Du weißt doch, wie sehr sie dich immer bewunderte, wie sie immer zu ihrer älteren Schwester aufsah!“
Sanjas Lippen begannen, zu beben. Sie schloß die Augen und stöhnte leise auf. Derk nahm sie fest in die Arme.
... was w ... wollen SIE denn sch ... schon großartig sagen?" fragte er. "Wenn wir tatsächlich nach Sektor 1 gingen, dann würden unsere Eltern doch nie mehr etwas von uns hören!"
"Doch Derk! Das verspreche ich dir bei allem, was mir heilig ist!" rief der Heimpriester verzweifelt. "Wir wollten diese Regelung sowieso ändern, aber wir wußten nicht wie! Versteh uns doch Derk! Wir wollen nur das Beste für die Bevölkerung Heimstadts, aber wir sind auch bloß Menschen; erbärmliche kleine Menschen, die wie alle Menschen Fehler begehen!"
Derk konnte es kaum fassen: Der Mann schluchzte!
"Ein Lehrpriester aus Sektor 4 hatte kürzlich eine Idee", sagte Fohler mit zitternder Stimme. êan solle sagen, daß die Hölle nicht mehr ganz so giftig ist wie früher und daß mutige Männer und Frauen sie erforschen müssen, weil Heimstadt dringend neue Rohstoffe benötigt. Diese Leute, so werden wir sagen, wohnen alle in Sektor 1, weil sie es dann nicht so weit bis nach oben haben."
Fohler schniefte laut. Der Lautsprecher im Funkgerät knackte. "Ab dann werden alle in Sektor 1 zu ihren Familien auf Besuch gehen können, so oft sie wollen. Mit der Zeit es wird vielleicht zehn oder fünfzehn Jahre dauern werden alle Menschen in Heimstadt akzeptieren, daß Heimstadts Pforten geöffnet sind. Nach dieser Zeit der Gewöhnung wird sich dann niemand mehr vor dem Oben fürchten. Alle werden glücklich sein." Der Lautsprecher knackte.
Derk bückte sich und hob das kleine, schwarze Funkgerät auf.
"Aber was ist mit den Kindern?" fragte er laut. "Die Heimkirche stellt sich doch vehement gegen eine funktionierende Geburtenkontrolle! Wenn es so weitergeht wie bisher, platzt Heimstadt aus allen Nähten. Den einzigen Nutzen davon hätte die Heimkirche!" Während er sprach, kehrte sein Selbstvertrauen zurück. "Denn wenn weiterhin so viele Kinder zur Welt kommen, dann ist Heimstadt bald so übervölkert, daß die Menschen nicht mehr genug zu essen haben. Sie werden leiden. Und wie verschafft man sich Macht über andere? Indem man sie leiden lässt!',
"Derk! Nicht!" wehrte Sanja ab.
"Lass ihn nur meine Tochter", sagte der Priester. "Er ist klug. Deshalb benutzt er seinen Verstand. Natürlich hat er recht. Heimstadt droht ein Übervölkerungsproblem. Vor vielen hundert Jahren beschlossen die Heimpriester, daß man etwas dagegen tun m?te, aber das ist nicht so leicht. Du sagtest, man müsse ein Medikament entwickeln, das die Empfängnis verhütet; erinnerst du dich Derk? Aber ein solches Medikament gibt es nicht mehr. Die Formel dafür ging verloren. Bis heute ist es den Meds nicht gelungen, ein solches Präparat erneut zu entwickeln. Sie stellten mehrere taugliche Substanzen her. Sie wirkten tatsächlich. Wir testeten es an Zuchtvieh. Aber die Nebenwirkungen waren grauenhaft. Die Medikamente verursachten Krebs und Knochenschwund! Eine Substanz, die keine Nebenwirkungen hat, ist bis heute nicht entwickelt, aber in Sektor 1 wird fieberhaft daran gearbeitet, glaubt mir! Bis dahin wäre die einzige Alternative, den Frauen die Gebärmutter herauszuschneiden. Wer will das einer Frau antun?"
Knacken im großen Lautsprecher in der Wand, danach Knacken im Lautsprecher des Funkgerätes.
"Hört zu", sprach Fohler weiter. "Am besten ist, ihr beide kommt jetzt wieder herein und wir drei treffen uns in Sektor 1 in der medizinischen Abteilung. Dort können wir dann in aller Ruhe über alles reden. Wir brauchen laufend neues Personal da oben. Vor allem auf junge Leute, deren Verstand noch jugendlich frisch ist, kommt es uns an. Wir werden uns freuen, wenn ihr an den Forschungen zur Rettung Heimstadts mitarbeiten wollt."
Das klang wirklich ehrlich. Derk und Sanja fühlten sich geschmeichelt. Da wäre doch was! Als Forscher arbeiten! Das wäre womöglich noch viel toller, als ein Klimamann zu werden, denn Forscher erfuhren sicher alles, was sie interessierte. Derk fragte nach.
"Aber sicher Derk", antwortete Fohler sofort. "Als Wissenschaftler stehen dir die gesamten Computerarchive Heimstadts offen. Niemand wird deine Forschungen behindern, denn wir sind ja darauf angewiesen. Du siehst: Auf diese Weise, kannst du das Oben sehen und einen hochinteressanten Beruf ausüben. Ihr müsst euch allerdings absoluter Geheimhaltung unterziehen, solange es die Heimkirche für richtig hält. Denkt an die Angst, die euer Wissen in der Bevölkerung auslösen könnte!"
Das überzeugte. Derk und Sanja schauten sich an. Sie nickten sich in gegenseitigem Einverständnis zu.
"Oberpriester Volta wird sich freuen, wenn ihr zu uns zurückkehrt“, sagte Fohler. Gerade er ist nämlich einer der größten Verfechter der Idee, dass die Bewohner Heimstadts nach und nach vom Oben erfahren sollen. Er wünscht besonders brennend, die Frage der Geburtenkontrolle zu lösen und gleichzeitig tritt er vehement dafür ein, die Pforten Heimstadts zu öffnen."
Sanja versteifte sich schlagartig in Derks Armen.
Alarmiert spitzte Derk die Ohren.
Was sagte der Priester da? Ausgerechnet Volta?
Derk uns Sanja sahen sich an. Sanja stellte sich auf die Zehenspitzen und brachte ihren Mund ganz nahe an Derks Ohr.
Fohler weiß nicht, daß wir Voltas Brief gelesen haben!" wisperte sie so leise, daß der Priester sie nicht über das versteckte Mikrophon abhören konnte. Derk nickte nachdenklich. Mit einem Mal war er wiede mißtrauisch.
"Was ist Kinder? Kommt ihr nun?" fragte der Heimpriester.
Derk betrachtete das Funkgerät des Polits, dessen Lautsprecher schon wieder knackte. Ihm fiel auf, dass der Lautstärkeknopf ganz herunter gedreht war. Er regelte die Lautstärke hoch.
"Und uns passiert wirklich nichts Herr Oberpriester?" fragte er.
"Aber nein Derk! Wir alle sind doch froh und glücklich, wenn ihr wieder zu uns zurückkehrt", antwortete der Priester. "Nun macht schon ihr Lahmärsche! Lange kann ich die beiden nicht mehr hinhalten!" quÕte Fohlers Stimme aus dem Funkgerät.
Derk uns Sanja standen wie vom Donner gerührt.
"Ihr werdet sehen, wenn ihr wieder bei uns in der Volksgemeinschaft seid, wird euch alles doppelt so gut gefallen wie zuvor. Man weiß erst, wie gut es einem geht, wenn man mal auf alles verzichten muß", säuselte Fohler. "Wenn ihr erst von euerer ersten Erkundungsreise durch das Oben zurück seid, werdet ihr garnicht mehr aus Heimstadt weg wollen. So geht es den meisten. Nur wie gesagt: Ihr dürft anfangs niemandem etwas davon erzählen. Aber ich weiß, daß ich mich auf euch verlassen kann. Da hege ich keine Zweifel. Eure Intelligenz fiel mir früher schon auf."
Der große Lautsprecher knackte.
"Nun macht schon! Ich will dieses Pack endlich in den Fingern haben! Ich muß erfahren, auf welchem Wege es diesem Abschaum gelungen ist, an allen Wachen vorbei zum Dekontaminationsdeck zu gelangen!" quÕte es aus dem Funkgerät.
"Keine Angst Herr Oberpriester", antwortete eine tiefe Stimme. "Wir sind gerade auf Dekondeck angekommen. In einer halben Stunde liegen die beiden ausgeflogenen Vögelchen auf der Streckbank und singen."
Derk ballte die Fäuste.
"Dieses Schwein!" stieß er hervor.
"DERK!" Sanja zeigte entsetzt auf die Außentür. Leise zischend glitt sie zurück. "Sie schließt sich." "Komm!" schrie Derk und sprintete los. Mit einem Hechtsprung warf er sich nach draußen.
"DERK!" schrie Sanja erneut. Sie steckte fest. Die sich schließende Tür klemmte sie fest.
"Elende Ketzerbrut!" brüllte Fohlers Stimme aus dem Lautsprecher. "Ihr werdet lernen, was es heißt, sich der allmächtigen Heimkirche zu wiedersetzen."
Sanja fing an zu weinen. Das war also das Ende! Sie spürte das ungeheure Gewicht der Tür aus Panzerstahl auf ihren Rippen.
"Sanja!" schluchzte Derk und stemmte sich vergebens gegen das erdrückende Gewicht der Tür.
"Derk! Ich werde erdrückt!" keuchte sie in Todesangst.
Plötzlich erklang ein leiser Piepton und die schwere Tür öffnete sich wieder und gab Sanja frei. Sie ließ sich nach draußen in Derks Arme fallen. Die Schleuse besaß den gleichen Mechanismus, wie die automatischen Lifttüren, der verhindern sollte, daß jemand unabsichtlich eingeklemmt wurde.
Schreckensbleich hing Sanja in Derks Armen. "Derk! Derk! Wir müssen fliehen!" Ihre Stimme zitterte so stark, daß sie kaum sprechen konnte. "Wir müssen hier weg, bevor die Polits kommen."
Hinter ihnen verschloß sich die Schleusentür zischend. Polternd fiel die Verriegelung ins Schloß.
"Zu spät!" keifte die Stimme Fohlers aus dem Funkgerät, das Derk noch immer in der Hand hielt. "Ihr lahmen Enten kommt zu spät! Sie sind der Hölle anheim gefallen." Die Stimme des Heimpriesters bebte vor Zorn. "Ich sollte euch hinterherschicken ihr Unfähigen!"
"Oh nein euere Eminenz! Bitte verschont uns", heulte der Polit über Sprechfunk. "Bitte!"
"Das muß ich mir noch schwer überlegen", grollte Fahler. "Ihr wisst ja, wer versagt, fällt der ewigen Hölle anheim."
"Oh vergebt uns Herr! Wir tun alles, was ihr uns befehlt", jammerte der Polit.
"Ach ja? Und wenn ich euch also befehle, in die Hölle zu gehen, dann geht ihr auch?"
"Eure Heiligkeit bitte, bitte, bitte nicht!" kreischte der Polit voller Todesangst. "Bitte! Wir wollen für unser Versagen b?en! Bitte schickt uns nicht in die Hölle!"
"Vor denen brauchen wir uns nicht zu fürchten", meinte Derk trocken. "Beruhige sich Sanja."
"Dieses Schwein!" rief Sanja. "Nach im allerletzten Moment wollte er uns die Freiheit verwehren!"
"Ja. Er hätte uns alle Freiheit genommen, auch die geistige. Die Folter raubt einem das letzte bißchen Freiheit: Die Freiheit der Gedanken!" sagte Derk düster.
Er hob Sanjas Gesicht zu sich hoch und küsste sie zärtlich. "Wir sollten zusehen, daß wir von hier verschwinden", meinte er. Sanja nickte zustimmend.
Sie entfernten sich von der Aussenschleuse. Dazu mußten sie sich durch eine dichte Brombeerhecke kämpfen. Sie gelangten in einen dichtgewachsenen Nadelwald. Die Bäume, die viel größer waren, als die Heimstadts, wuchsen so dicht, daß kaum Licht bis auf den Boden durchdrang. Derk und Sanja stolperten vorwärts.
Nach zehn Minuten endete der Wald und gab den Blick frei auf eine unglaublich große Welt.



20.

Für einen Moment waren Sanja und Derk zu benommen von dem Abblick, um etwas zu sagen. Es gab keine Sektorenwände; das war das erste, was sie erfassten. Das Land vor ihnen dehnte sich unvorstellbar weit nach allen Seiten aus. Oben, wo sonst die Sonnenlampen hingen, glühte ein einziges gigantisches Licht von solcher Leuchtkraft, daß ihre Augen zu tränen begannen, wenn sie es zu lange ansahen.
Vor ihnen fiel das Land sanft ab. In etwa dreihundert Metern Entfernung lag ein ungeheuer großer, tiefblau schimmernder See. Am anderen Ufer umgeben von Wiesen und Feldern lag ein kleines Wohndorf. Die Siedlung ähnelte in den Grundzügen dem Wohndorf in Sektor 7, aber die Häuschen waren teilweise aus Holz errichtet. Ein unglaublicher Luxus, aber angesichts der riesigen Wälder, die das Dorf umgaben, war es naheliegend, diesen leicht zu verarbeitenden Werkstoff zu benutzen. Die Gärten waren kleiner und sie sahen nicht so geordnet aus wie die in Heimstadt, das erkannte man selbst auf diese Entfernung. Auch die Felder lagen lose verstreut ums Dorf. Aber es war ja auch mehr als genug Platz dafür.
Im Gegensatz zu den roten Ziegeln der Häuser in Sektor 7 waren die Dächer der Siedlung am See mit Schieferschindeln oder Schilf gedeckt.
Drei Kinder trieben eine Herde Gänse zur Siedlung hinaus auf die Wiesen. Auf dem See fuhren mehrere schlanke Kanus. Die Männer, die sie ruderten, warfen ab und zu kleine Netze aus und holten sie mit Fischen gefüllt wieder ein. Die kleinen Boote hielten respektvollen Abstand von einem großen Strudel in der Nähe des Ufers, das Derk und Sanja am nächsten lag. Derk überlegte, daß dort wohl das Wasser des Sees nach Heimstadt angesaugt wurde. Darunter mochte der Turbinenschacht liegen. Weiter rechts, zwei oder drei Kilometer entfernt, mündete ein kleiner Fluß in den Stausee. Am Himmel flogen ein paar Vögel.
Derk und Sanja konnten sich gar nicht satt sehen.
"Es ist so unvorstellbar groß", flüsterte Derk ergriffen.
"Und so wunderschön!" hakte Sanja nach. "Hast du jemals so blaues Wasser gesehen? Und die Decke, wenn man das überhaupt so nennen kann, hat dieselbe Farbe."
Derk wies zu dem Dorf am Stausee: "Dies ist das sogenannte Barbarendorf, von dem Volta geschrieben hat. Ich bezweifele daß die Menschen dort wirklich so schlimm sind. Volta hat genauso gelogen, wie eben gerade Fohler. Gehen wir?"
Sanja hängte sich bei ihm ein: "Ja. Komm."
Sie liefen los. Mit weitausholenden Schritten überquerten sie eine mit hohem Gras bestandene Wiese in Richtung Seeufer. Von Zeit zu Zeit schaute Derk sich um. Aber es folgte ihnen niemand. Es war ganz gut, fand er, daß außer den höchsten Priestern niemand wußte, daß man hier draußen existieren konnte. So konnten ihnen keine Polits folgen.
Sie ließen die mit bunten Blumen bestandene Wiese hinter sich und kamen am sandigen Seeufer an. Hier lief es sich leichter. Sie machten sich auf den Weg um den See auf die Siedlung zu.
Als sie den Weg zu drei Vierteln hinter sich gebracht hatten, bemerkten sie, dass eine Menge Leute aus dem Wohndorf ihnen entgegen kam.
"Das ist sicher so eine Art Empfangskomitee", sagte Sanja. So ganz wohl fühlte sie sich nicht in ihrer Haut. Was würde geschehen?
Ein großer, bärtiger Mann löste sich aus der Menge der wartenden Menschen und trat ihnen entgegen. "Willkommen in Seeweiler. Ich bin Schorsch, der Dorfschulze", sagte er freundlich. Sein Lächeln brach das Eis.
"Wir sind Derk und Sanja", stellte Derk vor. ir sind aus Heimstadt geflohen und bitten um Aufnahme in euerer Siedlung."
"Heimstadt? Ach ja ... so nennen eure Anführer die Höhlen unter dem See", sagte der Bärtige. "Wäre ich auch von allein drauf gekommen, so blaß wie ihr seid. Seht wohl zum ersten Mal in euerem Leben die Sonne. Wir nehmen euch gerne auf. Frisches Blut ist uns jederzeit willkommen. Heute Abend müsst ihr uns
alles erzählen. Aber zuerst braucht jeder von euch ein ordentliches Zimmer, wo er wohnen kann, bis ihr euch ein eigenes Haus gebaut habt."
Schorschs Frau, die die ganze Zeit ruhig hinter ihm gestanden hatte, versetzte ihm eine derben Knuff in die Rippen und trat vor.
"Aber Schorsch du alter Holzkopf!" rief sie tadelnd. Sie zwinkerte Derk und Sanja die sich an den Händen hielten, spitzbübisch zu. "Siehst du denn nicht, daß die beiden jungen Leute garantiert keine Einzelzimmer haben wollen? Du Schaftskopf! Die beiden wollen zusammen bleiben, nicht wahr? Allein schläfts sich so schlecht!"
Derk stieg die Röte ins Gesicht und Sanja ging es nicht besser, aber die Leute, die sie umstanden, lachten freundlich über den Scherz.
"Was solls!" sagte sich Derk. "Hier läuft halt alles viel lockerer. Hier sind alle frei."
"Ihre Frau hat recht Herr Schorsch", sagte er.
"Na wenn das so ist, dann sollt ihr das große Zimmer im Dachgeschoß meines Hauses haben", polterte Schorsch schmunzelnd. "Es will ja keiner dem jungen Glück im Wege stehen."
Derk und Sanja fielen sich in die Arme und küssten sich. Es war ihr erster Kuß in der Freiheit. Ein neues Leben wartete auf sie. Vielleicht würde es nicht immer leicht sein und anfangs mußten sie viel lernen, aber sie waren bereit, sich dieser Herausforderung zu stellen.

E N D E -

01.04.2013 17:22 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
Bianca Bianca ist weiblich
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großes Grinsen bissl holprig an der ein oder anderen Stelle aber spannend und schön zu lesen.

Hättest du durchaus viel mehr draus machen können auch wie es im draussen weiter geht...

23.05.2013 21:48 Bianca ist offline Email an Bianca senden Homepage von Bianca Beiträge von Bianca suchen Nehmen Sie Bianca in Ihre Freundesliste auf
Stefan Steinmetz
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Liebe Bianca, das war ein Frühwerk. Stammt aus 1990, glaube ich. Da war ich als Schreiber noch "roh".
ich muss selber grinsen, wenn ich die alten Dinger lese. Aber ich stell das Zeug absichtlich so "roh" hier rein. Da kannste mal sehen, wie ein Anfänger schreibt.
Es ist wie mit einem Musikinstrument: Am Anfang klingt das nicht so dolle ... aber wenn man regelmäßig über die Jahre übt... smile

23.05.2013 22:10 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
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ja aber ich finde erstaunlich dass man trotzdem erkennt, dass es ein Steinmetz ist großes Grinsen

Vielleicht magst dus ja irgendwann mal "fortführen" Augenzwinkern

24.05.2013 10:13 Bianca ist offline Email an Bianca senden Homepage von Bianca Beiträge von Bianca suchen Nehmen Sie Bianca in Ihre Freundesliste auf
Stefan Steinmetz
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Tatsächlich habe ich damals noch zwei Fortsetzungs-Romane verfasst. Sollte ich vielleicht mal scannen und hier einstellen. Sind auch ab-so-lu-te Frühwerke aus meiner schreiberischen Steinzeit. smile

24.08.2019 07:12 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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