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Stefan Steinmetz
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Mars First - Mit dem One Way Ticket zum Mars(25) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Bishops kamen von draußen herein. Sie hatten einen Spaziergang durch den Park gemacht und die Zwillinge hatten ihre kleinen Segelschiffchen auf dem Teich schwimmen lassen. Es waren Nachbildungen von Ethan McDuffs Segeljacht, mit der er auf dem Mars durch die virtuelle Welt des Orcus Patera segelte.
Alle Kinder der Welt wollten solche Schiffchen haben, seit sie die Jacht McDuffs im Mars TV gesehen hatten. Es gab auch größere Versionen für Jugendliche und Erwachsene, die man per Funkfernsteuerung richtig segeln lassen konnte.
Kaum drinnen flitzten Penelope und Abigail ins Wohnzimmer.
„Fernseh anmachen!“, verlangten sie. „Marsies gucken!“
Ihre Mutter schaltete den großen Flachbildschirm ein. Liam holte eine Flasche Cidar aus dem Keller und schenkte Dottie und sich ein Glas des typisch britischen Apfelweins ein. Auf dem Bildschirm erschien das Innere einer Dragon auf dem Mars. Man sah Laura Sunderland zu den Marsanzügen marschieren. Sie stieg in ihren Anzug. Da schoss Lindy-Flindy ins Bild: „Lauralieb! Wo gehst du hin? Gehst du raus? Bitte nimm Lindy-Flindy mit!“
„Lindy-Flindy mitnehmen!“, forderten die Zwillinge unisono.
Laura bückte sich und strich dem Robotermädchen über den Kopf: „Du willst mit? Ich werde aber ein ziemliches Stück laufen, Kleines. Ich will zur Sierra Ramparta und dort Gesteinsproben nehmen.“
„Lindy-Flindys Batterien sind voll aufgeladen“, verkündete Lindy-Flindy mit fröhlicher Kinderstimme. „Ich will mit! Bitte! Ich werde dir helfen, Lauralieb. Bitte nimm Lindy-Flindy mit!“
Nimm Lindy-Flindy mit, dachte Liam. Wieso spricht sie so oft in der dritten Person, wenn sie sich selbst meint?
Das famose Robotergirl konnte inzwischen ganz passabel Englisch sprechen. Durch Interaktion mit den Kolonisten und fleißiges Fernsehen hatte die Kleine gelernt, wie man die Worte richtig gebrauchte. Aber wenn sie von sich sprach, fiel sie oft in die dritte Person Singular. Sie sagte nicht „Ich möchte mitkommen“, sondern „Lindy-Flindy möchte mitkommen.“ Das wirkte drollig und irgendwie liebenswert. Liam fragte sich, ob sie das mit Absicht machte. War ihr Elektronenhirn intelligent genug, um eine gewisse Tapsigkeit vorzuspielen, um bei ihrem erwachsenen Gegenüber Sympathie zu wecken?
Die Zwillinge hockten vorm Fernseher und himmelten das kleine Robotermädchen an. Sie fuhren auf Lindy-Flindy ab. Sie liebten das Roboterchen heiß und innig und freuten sich jedes Mal, wenn sie Lindy-Flindy auf dem Bildschirm sahen.
Auch die erwachsene Fangemeinde mochte das Robogirl. Lindy-Flindy wurde mit Likes und Sternchen überschüttet. Die gesamte Zuschauerriege beobachtete, wie das Robotermädchen sprechen lernte und seine Heimat erkundete.
Auf dem Bildschirm wanderten Laura Sunderland und Lindy-Flindy über die rote Marsoberfläche. Gefilmt wurden sie von einem der kleinere Rovern, der parallel zu ihnen fuhr. Die Kanadierin stapfte in ihrem unförmigen Marsanzug dahin, während Lindy-Flindy auf ihren Raupen neben ihr her sauste. Manchmal flitzte sie ein Stück voraus oder sie surrte um große Steinbrocken herum und untersuchte Steine. Wenn sie Steine fand, die sie umdrehen konnte, tat sie es. Dann begutachtete sie die Unterseite ganz genau. Sie wollte unbedingt, dass ihre heißgeliebte „Lauralieb“ endlich ein Fossil fand.
Bei der Sierra Ramparta angekommen, assistierte sie Laura bei der Entnahme von Bodenproben. Sie kommentierte jedes Schippchen Sand, das Laura aufnahm und jeden Stein, den die Kanadierin sich ansah. Sie konnte alles identifizieren. Sie wusste, woraus die verschiedenen Regolithe bestanden und sie erkannte Silikate und Quarze. Sie testete den dunklen Staub mit ihrem Messfühler und informierte Laura über den PH-Wert und die Zusammensetzung. Als Laura einen großen Brocken untersuchte, fuhr Lindy-Flindy auf ihre Bitte hin ihren Werkzeugarm aus und bohrte mit dem kleinen Bohrer ein Loch in den Stein.
Abby und Penny schauten gebannt zu. Sie diskutierten über die Möglichkeit, dass Lindy-Flindy zu den Bishops auf Besuch kommen könnte. Sie wollten dem Robotermädchen den Park zeigen, den Teich und die Bäume und die Rosen. Natürlich wollten sie vor allem mit Lindy-Flindy spielen.
Das wollten viele Kinder auf der Welt. Liam musste grinsen. Die Merchandising-Abteilung hatte alle Hände voll zu tun. Es wurde eine kleinere und einfachere Version von Lindy-Flindy mit Batterieantrieb konzipiert, die ferngesteuert auf ihren Raupen rollen und ein paar einfache Redensweisen von sich geben konnte.
Aber es gab auch Pläne, die echte Lindy-Flindy zu kopieren und auf der Erde zu verkaufen. Die Marsies hatten durchblicken lassen, dass ein Lizenznachbau ordentlich Geld in die Kasse von Mars First spülen würde. Das war gut für Folgemissionen und brachte vielleicht die eine oder andere Extrarakete, die Gebrauchsmaterialien zum Mars transportierte. Zusätzliche Solarzellen zum Beispiel und LED-Lampen aller Art. Die Marsianer brauchten das Zeug.
„In der Voraus-Mission befanden sich neben der Aufblaskuppel extra Solarzellen und LED-Leuchten“, hatte Ethan McDuff gesagt, als sie per Video kommunizierten. Wir brauchen solche Sachen hier. Noch können wir das nicht selbst herstellen.“ Er hatte Arne Heuermann lachend auf die Schulter geklopft: „Aber unser Chemiker arbeitet dran. Wer weiß, vielleicht kann er schon bald Solarzellen im 3-D-Drucker machen.“
Arne hatte geschwiegen.

*

Die Marsianer saßen beim Mittagessen. Laura hatte aus den schwindenden Mehlvorräten Brot gebacken.
„Bald wird in unserer Kuppel Getreide wachsen“, versprach sie. „In kleinem Rahmen ziehen Maus und ich es bereits in Pflanzschalen.“ Sie schmierte sich eine Scheibe Brot. Sie tat Schmalz, Erdnussbutter und Marmelade darauf. Noch hatten sie winzige Überreste dieser Vorräte von der Erde. „Man kann die Getreidehalme häufeln“, erzählte Laura, während sie in ihr Brot biss. „Dann entstehen Verzweigungen am Halm. Statt eines einzigen Halmes mit einer Ähre aus einem Samenkorn, bekommt man drei bis sieben Halme, manchmal sogar bis zu elf. Meine Großmutter hat das in ihrem kleinen Garten gemacht. Von ihr habe ich das gelernt.“
Arne starrte sie an: „Sag mal, wie isst du denn dein Brot, Laura?“ Er lachte auf: „Alles durcheinander? Ist das Armeleuteessen? Hauptsache, alles zusammen schnell gefuttert?“
Laura wurde rot. Sie schaute auf die Tischplatte, als gäbe es dort etwas ungeheuer Interessantes zu sehen. Sie sah geknickt aus.
Arne schien es nicht zu bemerken: „Oder sorgt das für eine stärkere Libido?“ Er grinste freundlich.
Antje lenkte schnell vom Thema ab: „Dieses Anhäufeln, Laura? Zeigst du mir, wie das geht? Das klingt hochinteressant. Wir müssen vorerst mit sehr wenig Platz klarkommen und ausgerechnet der Anbau von Getreide verbraucht viel Fläche.“
„Hätten wir die Aufblaskuppel, hätten wir diese Fläche“, knurrte Ethan.
Antje nickte ihm zu: „Ja, nicht wahr? Es ist ein Riesenunglück, dass die Voraus-Mission verloren ging. Was könnten wir alles planen und verwirklichen, wenn wir diese aufblasbare Kuppel zusätzlich zu unserer Kuppel aus Ziegelsteinen hätten. Und erst die Solarzellen und die Lampen!“

*

Nachmittags arbeiteten Antje und Laura gemeinsam im großen Treibhaus in Habitat 3.
„Wegen heute morgen“, begann Antje. „Das tut mir leid, Laura. Ich glaube, Arne hat es nicht böse gemeint. Er wollte nur einen Scherz machen. Aber es hat dich tief getroffen, das habe ich gesehen.“
Laura arbeitete schweigend weiter. Sie pikierte winzige Keimlinge in vorbereitete Töpfchen. Sobald die Setzlinge groß genug waren, sollten sie in der neuen Kuppel in die Erde kommen.
„Wir waren arm“, sagte sie und schaute Antje an. „Richtig arm. Nachdem unser Vater die Familie verlassen hatte, versuchte unsere Mutter uns mit Gelegenheitsjobs durchzubringen.“ Sie schnaufte abfällig. „So ganz gelungen ist ihr das nicht. Sie hat getrunken, weißt du.“ Plötzlich fing sie an zu erzählen. Sie erzählte alles. Von ihrer einigermaßen schönen Kindheit, als der Vater noch da war, von der unschönen Jugend, nachdem sie und ihre Geschwister mit der Mutter allein gewesen waren. Von der Armut.
„Wenn jeder am Tisch nur ein oder zwei Scheiben Brot zur Verfügung hat, dann mischt man halt alles zusammen“, sagte sie. „Dann gibt es zum Frühstück Sandwich mit Gurke und Marmelade.“ Laura senkte den Kopf. „Weil nichts anderes da ist. Man isst das. Denn es gab auch Tage, da war überhaupt nichts da.“ Sie blickte Antje in die Augen: „Buchstäblich nichts.“
Sie berichtete von Tagen, an denen die Sunderlandkinder hungrig zur Schule gegangen und von Tagen, als sie mit knurrendem Magen zu Bett gegangen waren. Es schien, als wäre ein Damm gebrochen. Laura redete sich alles von der Seele. Ab und zu warf sie einen Seitenblick auf die Kameras. Es schien sie zu stören, dass alles was sie sagte, aufgezeichnet wurde, aber dann wirkte sie mit einem Mal trotzig und erzählte weiter aus ihrem Leben. Sie sprach von den Problemen auf dem College, wo man sie wegen des Stipendiums von oben herab behandelt hatte.
„Nicht nur die Schüler waren gemein zu mir“, sagte Laura. „Es gab auch Lehrer, die auf mir herumhackten.“
„Mensch, Laura!“ Antje ging zu der Kanadierin und legte ihr einen Arm um die Schulter. „Es tut mir leid, das zu hören. Du hast es nicht leicht gehabt im Leben. Da kam Arnes blöde Bemerkung natürlich nicht gut bei dir an. Ich werde ihm den Kopf waschen.“ Sie nickte energisch: „Der soll sein Mundwerk in Zukunft besser im Zaum halten.“ Sie schaute Laura an: „Vielleicht … weißt du Laura, er hat es eventuell getan, um dir eins auszuwischen. Weil du … wie soll ich sagen … Ethan macht da immer diese dummen, kindischen Anspielungen … als ob Arne und ich keinen Sex miteinander hätten. Er tut es am liebsten vor laufenden Kameras. Das ist … sehr unangenehm. Mir gefällt das nicht und Arne auch nicht. Wir haben Sex, glaub mir. Wir tun es halt eher nachts und das kriegt Ethan nicht mit. Außerdem geht es ihn schlicht und ergreifend nichts an.
Wenn er damit anfängt, ja … dann unterstützt du ihn oft, Laura. Wahrscheinlich merkst du es nicht mal. Du stehst Ethan bei, wie man das so macht, wenn man mit jemandem zusammen ist. Vielleicht hat es Arne genervt und er hat sich gedacht: Jetzt stichele ich auch mal! Damit du siehst, wie sich das anfühlt, Laura!
Ich denke, so hat er es gemeint. Er wollte nicht gehässig klingen. Er wollte bloß ein wenig frotzeln.“ Sie lachte kurz auf: „Er hätte besser gesagt, dass du durcheinander isst wie eine Schwangere.“ Sie drückte Laura: „Er hat es nicht böse gemeint. Wirklich nicht.“
Laura lächelte Antje an. In ihren Augen stand eine Traurigkeit, wie Antje sie noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte. „Arne hat es nicht böse gemeint“, sagte Laura. „Das weiß ich. Es hat mich bloß unvorbereitet getroffen. Arne ist nicht gehässig.“
Sie schaute verbittert. „Ganz im Gegensatz zu gewissen Leute auf der Erde!“ Sie schielte erneut zu den Kameras hin. „Weißt du, Antje, Mars First war meine große Chance. Als ich davon hörte, war ich hin und weg. Wirklich, das kannst du mir glauben. Es war die Chance in meinem Leben. Wenn ich ehrlich bin, war es die einzige.
Ich habe alles versucht, zur NASA zu kommen. Ich hätte ein Jahrzehnt meines Lebens dafür gegeben, bei denen einsteigen zu dürfen. Natürlich am liebsten als Astronautin und zwar eine, die zum Mars fliegt. Der Mars war immer mein Ding. Schon seit meiner Kindheit.“ Laura lachte auf. „Mir war klar, dass ich das wohl nicht schaffen würde. Aber wenigstens beim Bodenpersonal wollte ich dabei sein. Planetengeologin. Das war mein Traum.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Ging leider nicht. Ich kam nicht zur NASA, egal wie sehr ich mich abzappelte. Als ich es bei Mars First schaffte und dann auch noch in die letzte Auswahl aufstieg, war ich im siebten Himmel.“
Lauras Lippen wurden zu einem schmalen Strich: „Dann lief mir eines Tages diese „nette“ Lehrerin vom College über den Weg.“ Laura schaute direkt in eine der Kameras: „Die überaus nette, freundliche und in Wahrheit hundsgemeine Misses Warden. Misses Warden, die mit dem silbernen Löffel geboren wurde und die auf alle Menschen herabsieht, die nicht mit dem silbernen Löffel geboren wurden! Menschen wie ich, die kleine Laura Sunderland, die das Pech hatte, im falschen Stadtviertel groß zu werden.“
Antje stand vor Staunen der Mund offen. „Erzähl, Laura!“
Laura sah aus, als müsse sie eine lebende Kröte verschlucken. Es arbeitete in ihrem Gesicht. Schließlich gab sie sich einen Ruck und begann zu sprechen: „Es war wenige Wochen vor dem Start der Rakete. Ich ging durch die Stadt. Ich spazierte durch die Gegend. Ich wollte noch einmal überall vorbeischauen, bevor ich die Erde auf immer verlassen würde. Ich ging die Main Street hinunter, als mir Misses Warden entgegen kam ...“ Laura erzählte.

„Sieh einer an! Da kommt unsere kanadische Astronautin“, rief es.
Laura wandte den Blick von dem Schaufenster des Geschäfts für Küchengeräte, in dem sie sich ein hübsches altmodisches Tafelservice angeschaut hatte. Misses Warden stand vor ihr, ihre ehemalige Lehrerin vom College.
Ausgerechnet die Warden. Wo kam die so plötzlich her? Laura war nicht auf eine Unterhaltung mit der Lehrerin erpicht. Im College hatte Warden sie stets von oben herab behandelt. Sie hatte Laura deutlich spüren lassen, dass sie der Meinung war, Leute wie Laura hätten auf einem Elitecollege nichts verloren, auch wenn sie es irgendwie geschafft hatten, sich ein Stipendium zu angeln. Auf ein Elitecollege gehörten anständige Leute und Menschen wie Laura waren keine anständigen Leute. Anständige Leute kamen aus einem anständigen Elternhaus und nicht aus einem Loch im Slum am Stadtrand. Leute wie Laura Sunderland waren Pack. Menschen wie Laura waren Gesocks, mochten sie auch noch so eifrig tun, als gehörten sie dazu. Das taten sie nicht, jedenfalls nicht für Misses Warden. Einmal Pack, immer Pack, das stand fest für die Lehrerin.
Offen hatte sie es nie gesagt, aber sie hatte deutlich durchblicken lassen, wie sie über Laura Sunderland dachte.
Drum fühlte Laura sich nicht wohl in ihrer Haut, der unangenehmen Person unverhofft gegenüber zu stehen.
„Unsere Astronautin, die für Kanada zu, Mars fliegt“, trompetete Misses Warden. Sie schaute sich um, ob Zuhörer in der Nähe waren. Die gab es reichlich. Beim Krakeelen der Lehrerin drehten sich etliche Leute um und schauten neugierig.
„Guten Tag, Misses Warden“, sagte Laura. Sie versuchte, an der Frau vorbeizukommen. Sie wollte weg. Sie hatte keine Lust, sich mit der Warden zu unterhalten.
Doch die Warden ließ nicht locker. Sie fasste Laura an der Schulter: „Nein, dass ich dich treffe!“ Sie blickte in die Runde: „Laura Sunderland! Sie wird zum Mars fliegen. Ist das nicht unglaublich?“
Laura wartete auf die gemeine Spitze, die unweigerlich kommen musste.
Misses Warden strich sich durch das gestylte blonde Haar. „Du nimmst also an dieser drittklassigen Mission teil, Laura? Ehrlich, etwas Richtiges ist dieses Mars First ja nicht. Das sagen alle. Es ist ein zusammen gestoppelter Billigheimer, ein Unternehmen mit zu wenig Geld. Alles zusammengeschustert und dann soll es holter-die-polter zum Mars gehen. Leben in Aufblashäuschen, die so klein sind, dass man sich kaum drin drehen kann. Dort oben sollen die armen Menschen, die sich für dieses aberwitzige Unternehmen gemeldet haben, dann den traurigen Rest ihres Lebens verbringen.“
Die Warden warf einen Blick in die Runde. Inzwischen standen rund zwei Dutzend Leute um sie herum. „Es soll ja angeblich nicht lange dauern, dieses Leben. Fehler in der Planung. Unausgegorene Systeme. Zu kleine Anbauflächen für Nahrungspflanzen. Probleme mit der Luftaufbereitung. Studenten vom MIT, der Eliteuniversität in Massachusetts, haben ausgerechnet, dass es gerade mal zweieinhalb Monate gutgehen wird, wenn überhaupt.“
Misses Warden nahm Laura aufs Korn: „Aber du wolltest ja schon immer hoch hinaus. Immer über deine Verhältnisse hinaus. Ohne Rücksicht auf Verluste. Hast dich immer vorgedrängelt. Das ist eben deine Art, Laura Sunderland.“ Bei jedem zweiten Satz, wiederholte die Warden Lauras kompletten Namen, während sie weiter über Mars First herfiel und das Unternehmen in den hässlichsten Worten herabwürdigte. Sie wollte ganz offensichtlich, dass die Leute, die um sie herumstanden, genau wussten, dass es sich um Laura Sunderland drehte.
Laura bekam keinen Ton heraus, so geschockt war sie. Schließlich gab sie sich einen Ruck. Sie umrundete die Lehrerin und marschierte die Main Street entlang.
„So ist es recht!“, blökte die Warden hinter ihr her. „Immer schön den Kopf hochtragen, Laura Sunderland. Was will man von einer wie dir auch anderes erwarten?“
Laura spürte deutlich, dass die Lehrerin sie zu provozieren versuchte. Die Warden wollte sie dazu bringen, ausfällig zu werden. Doch den Gefallen tat sie der Schickse nicht. Laura ging einfach weiter und tat, als höre sie die Lehrerin nicht. Aber sie musste sich beherrschen.
Zu Hause angekommen, schaffte sie es kaum, den Schlüssel ins Schloss der Haustür zu bekommen. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie trat ein und setzte sich im Wohnzimmer auf einen Sessel. „So eine miese, gemeine ...“ Sie war nicht einmal in ihren vier Wänden in der Lage, das Wort laut auszusprechen. Stattdessen brach sie zu ihrer eigenen Bestürzung in Tränen aus. Laura weinte mehrere Minuten lang wie ein kleines Kind. Die gehässige Lehrerin hatte sie verletzt, zutiefst verletzt.
Seitdem konnte Laura nicht vergessen, was die hochnäsige Lehrerin zu ihr gesagt hatte, absichtlich so laut, dass alle Umstehenden jedes Wort mitbekamen.
„Das kann ja wohl nicht wahr sein!“, sagte Antje. „Ich kann das nicht glauben!“
„Es war so“, sagte Laura. „Es hat sich genauso abgespielt, wie ich es erzählt habe.“
„Diese … diese ...“, schnaufte Antje. „Was für eine gemeine Person!“
„Eine gemeine Kuh!“, sagte Laura. „Ich kann es endlich laut aussprechen. Sie war eine gemeine Kuh! Eine gehässige, eingebildete Frau, die auch mich herabsah, weil ich nicht in reichen Verhältnissen geboren wurde und ich mich aus eigener Kraft und mit Fleiß hochgearbeitet habe. Deswegen konnte sie mich nicht leiden.“
Antje blickte in eine der Kameras: „Liebe Misses Warden, falls Sie das hier sehen: Ich versichere Ihnen, dass Laura Sunderland ein prima Mensch ist. Sie ist ein guter Kamerad und eine ausgezeichnete Geologin und Botanikerin. Und Mars First ist kein drittklassiges Provinztheater. Mars First ist das größte Abenteuer der Menschheit seit Christoph Kolumbus! Wir sind nicht am achtundsechzigsten Tag gestorben, im Gegenteil! Es geht uns gut und wir kommen hervorragend zurecht. Wir haben aus eigener Kraft eine Kuppel aus selbsthergestellten Ziegeln erbaut und es werden weitere Bauwerke folgen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann sind wir hier oben auf dem Mars autark. Stecken Sie sich ihre ekelhaften Tiraden an die Hutschnur! Sie sind eine gehässige Person. Ich bin froh, dass ich Sie nie kennenlernte.“
Antje umarmte Laura und drückte ihr einen Kuss auf die Wange: „Komm Laura, arbeiten wir weiter. Zeig mir, wie dieses Anhäufeln von Getreide funktioniert. Deine Kenntnisse sind auf dem Mars Gold wert. Du bist kein wertloser Mensch. Allenfalls ist es diese ekelhafte und eingebildete Person auf der Erde. Denk nicht mehr an sie. Sie ist es nicht wert.“
Laura lächelte sie an: „Danke, Antje. Du hast recht. Es lohnt sich nicht, an diese Person zu denken.“ Sie fuhr herum, als es hinter ihr leise surrte: „Heh, da kommt Lindy-Flindy. Schön, dich zu sehen, mein kleiner Schatz.“
Das Robotermädchen blieb vor ihr stehen: „Lindy-Flindy hat ihre Antriebsbatterie an der Ladestation aufgeladen. McTausendsassa hat Lindy-Flindy versprochen, er macht eine neue Batterie, die Lindy-Flindy austauschen kann, wie die Akkus in der Brust.“ Das Roboterchen lächelte Laura selig an: „Dann muss Lindy-Flindy nicht mehr stundenlang am Ladegerät stehen und kann immer bei Lauralieb sein.“
Lindy-Flindy tat, als sähe sie auf eine Armbanduhr, die sie gar nicht trug: „Wird Zeit! Abendessen muss sein! Bitte nicht mehr so lange arbeiten.“
Laura und Antje mussten über die drollige Ausdrucksweise lachen.
„Nur noch diese Stecklinge“, versprach Laura. „In zehn Minuten sind wir fertig.“

„Das ist ja ein Ding!“, sagte Dorothy. Sie hatte die Unterhaltung der beiden Frauen auf dem Mars in atemloser Spannung verfolgt. „Wie kann diese Lehrerin sich so aufführen?! Das ist ja schrecklich! Gott, wie ekelhaft!“
Liam legte ihr einen Arm um die Schultern: „Auch in Amerika und Kanada gibt es Leute, die ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein haben, Dottie. Da sieht man gerne mal auf Menschen herab, die arm geboren wurden. Ich bin froh, dass unsere Familien, allem Reichtum zum Trotz, nicht so sind. Das kannst du mir glauben. Ich verachte diese eingebildeten Typen von ganzem Herzen. Ist es denn ein Verdienst, in eine reiche Familie hineingeboren zu werden? Mitnichten! Dieser Misses Warden würde ich was erzählen!“
„Nicht nur du!“, schimpfte Dorothy. „Diese Frau ist total ...“
„Keelee!“, sagte Penelope vom Fernseher herüber. „Lehrer keelee ist! Böse Lehrer-Frau!“
„Genau“, bestätigte Dorothy.

15.02.2017 20:42 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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