Registrierung PM-BoxMitgliederliste Administratoren und Moderatoren Suche Häufig gestellte Fragen Zur Startseite  

Stefans Geschichten » Willkommen auf der Homepage von Stefan Steinmetz » Die kleine Privat-Ecke » Der Elfenmacher » Der Elfenmacher(25) » Hallo Gast [anmelden|registrieren]
Druckvorschau | An Freund senden | Thema zu Favoriten hinzufügen
Neues Thema erstellen Antwort erstellen
Autor
Beitrag « Vorheriges Thema | Nächstes Thema »
Stefan Steinmetz
Administrator




Dabei seit: 10.02.2006
Beiträge: 1737

Der Elfenmacher(25) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Stephan Harrer war unterwegs zum Supermarkt in Achen. Die Scheibenwischer surrten eifrig. Es regnete. Nach vielen schönen Tagen war der Regen gekommen. Die Landwirte freute es, die anderen Leute nicht. Aber es sollte schon bald wieder besser werden. Also Augen zu und durch. Er konnte das Wetter gut nutzen. Erstens wollte er endlich den Morgan fertig bauen. Das Modellauto war ein wenig ins Abseits geraten, weil er mit Dominik die Feldbahn aufgebaut hatte und dann wie wild sein Land umgegraben hatte. Gerade war er unterwegs, um sich neue Arbeit im Garten zu beschaffen.
Eugen Niedermeyer hatte ihm ein Heftchen mit Angeboten vorbeigebracht. Die Gärtnerei in Achen bot neue Bausätze für Hochbeete an. Es waren keine simplen Dinger aus Kunststoff sondern die waren aus einer Art Wellblech. Sie sahen hochwertig und haltbar aus. Stephan wollte sich probeweise einen Bausatz kaufen, um ihn daheim zu testen. Sonst fertigte er ja am liebsten alles selbst, aber er wollte eine Ausnahme machen.
Auf dem Parkplatz stellte er seinen Wagen ab und hastete durch den Regen zum Eingang des Gartencenters.
Wenigstens ist des miesen Wetters wegen nicht so viel Betrieb, dachte er bei sich. Er mochte kein Gedränge.
Im Center spazierte er erst mal in aller Ruhe überall herum und sah sich alles an. Er hatte Zeit. Beim Schlendern dachte er an Eugen Niedermeyer und seine Knipserei. Wieso hatte der Mann ihn so intensiv fotografiert?
Einfach ein Hobby, dachte er. Diese Kamera, die Eugen benutzt, hat ordentlich was gekostet. Ich kenne mich aus. Dafür hat der gute Bienerich gut und gerne zwei Tausender auf den Tisch gelegt. Vielleicht will er deshalb möglichst viele Fotos machen und er knipst alles, was ihm vor die Linse kommt.
Klassische griechische Figur hat er gesagt. Braucht er Vorlagen? Will er griechische Amphoren bemalen?
Stephan musste in sich hinein kichern. Irgendwie passte das überhaupt nicht zu Eugen Niedermeyer, der manchmal in den seltsamsten Klamotten einherging. Sein gestriger Aufzug war mal wieder zum Schieflachen gewesen. Niedermeyer trug oft übertrieben bunte Sachen. Oder er kam daher wie ein Mann, der aus einem englischen Kriminalroman der zwanziger Jahre entsprungen war. Eugen hatte einen schrägen Geschmack, was Bekleidung anging. Stephan und Polly hatten sich beim Spaziergang immer wieder grinsend angeschaut.
Warum machte Eugen Fotos von Stephan? Das war die Frage.
Er hat auch Polly und den Leutnant fotografiert. Allerdings nicht so häufig wie mich. Mag er keine Kinder? Er ist doch immer sehr freundlich zu Polly.
Aber an seine Bienen lässt er sie nicht, sprach seine innere Stimme. Sie hat ihn gefragt. Mehr als einmal. Immer hat er Ausreden.
Er ist schüchtern und introvertiert, hielt Stephan dagegen. Er will für sich sein. Er hat nichts dagegen, gelegentlich Gesellschaft zu haben, aber er ist am liebsten allein. Die Einladung zum Grillen an uns alle war nur Revanche für die vielen Male, wo er bei mir oder bei Kolbes dabei war. Ich glaube, er wollte das nicht wirklich machen. Er tat es aus reiner Höflichkeit. Er hat sich dazu durchgerungen.
Okay, okay. Dann erklär mir, warum er dich fotografiert.
Stephan spazierte zwischen Springbrunnen und Wasserspielen durch. Ja, warum? Wo hatte der Bienerich am häufigsten auf den Auslöser gedrückt? Draußen auf dem Feldweg? Stephan dachte intensiv nach. Ja und nein, lautete die Antwort. Auf Asphalt nicht, auf dem sandigen Feldweg hingegen ja. Da hatte Niedermeyer ganz klar öfter Aufnahmen gemacht. Die meisten dann in dieser Senke vorm Waldrand; in der sandigen Heide.
Sandig. Sandboden. Stephan kam ein Gedanke. Hatte Eugen nicht manchmal auf seine Füße gezielt? Sandboden war nachgiebig. In Sandboden sah man Spuren. Auch auf sandigen Feldwegen. Auf Asphalt nicht.
Hat er meine Spuren fotografiert? Wieso das denn?
Ein neuer Gedanke kam ihm und der gefiel ihm nicht.
Meine Gehbehinderung! Er hat meine Schrittlänge fotografiert. Meine Fußabdrücke. Die Kamera, die der hat, lässt von einem Foto Ausschnittvergrößerungen jeder Art zu. Vielleicht wollte er meine Schrittlänge und meine Schuhgröße wissen. Auf den Fotos sieht man bestimmt, dass ich einen Fuß leicht einwärts gedreht halte beim Gehen.
Wozu?
Weil er auf Spurensuche ist, Herr Harrer! Eugen Niedermeyer ist ein kleiner privater Sherlock Holmes. Er jagt den Kerl, der Runsach heimsucht.
Bei dem Gedanken wurde es Stephan ganz anders. Stimmte das? Er dachte nach.
Darüber vergaß er, auf seine Umgebung zu achten. Plötzlich stieß er mit jemandem zusammen.
„Entschuldigung“, stotterte er. „Ich war in Gedanken.“ Dann stand er da und starrte. Er hatte das Gefühl, gegen einen Schrank gelaufen zu sein. Sein Mund öffnete sich, aber er brachte keinen Ton heraus. Stephan wusste, dass er sich gerade zum Trottel machte, zum Turniertrottel sogar, aber seine Kehle war wie zugeschnürt und in seinem Kopf herrschte eine seltsame Leere.
Sie stand vor ihm. Nussbraunes Haar und hellbraune Augen; Augen so schön und seelenvoll, dass ihm ihr Blick durch und durchging. Vor ihm stand die Elfe.
Die richtige Elfe. Mit einem Mal wusste er, warum Apollonia Kolbe ihn so sehr in Bann geschlagen hatte. Sie war eine Miniaturausgabe der Elfe. Sie sah aus wie eine kleine Version der erwachsenen Elfe, die vor ihm stand und ihn mit diesen umwerfenden hellbraunen Augen anschaute.
Er bekam noch immer keinen Ton heraus. Langsam wurde die Situation peinlich.
Sag was!, brüllte seine innere Stimme Stephan an. Machs Maul auf, du Paradekamel! Los! Sag was!
Die Elfe erlöste ihn aus seiner Starre: „Stephan? Mensch, Stephan, dich habe ich ja eine Ewigkeit nicht gesehen.“
„I-I-Ich dich auch nicht“, antwortete er. Die Elfe. Sie stand vor ihm. Die dicke Elfe. Die muckelige Elfe. Die Speck-Elfe. Nur dass die Elfe, die hier leibhaftig vor ihm stand, kein bisschen dick war. Eine frauliche Figur hatte sie, die Elfe mit den hellbraunen Augen. Alles dran, was dran gehörte. Aber sie war schlank. Irgendwie war es ihm egal. Wenn sie kugelrund gewesen wäre, wäre es ihm genauso recht gewesen.
In seinem Kopf rumorte es, als würden uralte rostige Zahnräder sich in Bewegung setzen. Sein Herz machte einen komischen Hopser.
Ende Zwanzig!, rief die Stimme in seinem Kopf. Sie ist fast zwei Jahre jünger als du, aber sie ist beinahe dreißig. Vergiss es, Alter! Der Zug ist abgefahren. Die ist verheiratet und hat Kinder und du hast das Nachsehen. Selber schuld.
Die Elfe lächelte ihn an. Stephan zog es das Herz zusammen. Dieses Lächeln haute ihn schlicht um. Es ließ sein Herz wild pochen.
Wieso hatte er das nie bemerkt? Wieso nicht? All die Jahre! Sie kannten sich seit der ersten Klasse.
„Hallo Monica“, sagte er. Endlich hatte er seine Sprachblockade überwunden. Er schaffte ein Lächeln: „Monica mit Zeh.“
Sie lächelte zurück: „Stephan mit BH. Knarri. Wie geht es Ihnen, Hochwürden?“
„Ach … och … geht so“, sabbelte er. „Wie es halt so geht. Manchmal geht’s und manchmal geht’s besser.“ Im Moment ging es ihm besser. Viiiiel besser. Schuld war die Elfe, die vor ihm stand.
Mein Gott! Was ist los? Damals war sie einfach Moni! Nur Monica. Monica mit Zeh.
Monica Haarmann, um genau zu sein, was bedeutete, dass die Clique Monis Nachnamen ausgiebig verballhornen konnte. Haarmann wurde zu Haarfrau invertiert und aus Haarmann konnte man die tollsten Sachen machen: Klarmann, Sparmann, Saarmann, Wahrmann, Scharmann, Garmann. Nur dass Monica nicht zur Clique gehört hatte; nicht wirklich.
Sie standen voreinander und schauten sich in die Augen. Draußen vor den Schaufensterscheiben prasselte der stete Landregen. Eine neuerliche Lähmung befiel Stephan Harrers Sprachorgan.
Sag was, du Turniertrottel!, blökte seine innere Stimme. Denk an Polly! Sie hat es dir gesagt! Du musst einfach nur drauflos reden! Machs Maul auf, Paradekamel! Sag was! Übers Wetter! Los, du Lusche!
Stephan lächelte die Elfe an: „Schönes Wetter heute, nicht wahr?“
Sie lachte hellauf. „Ach Stephan.“ Sie schüttelte den Kopf: „Du bist immer noch so ein Witzbold wie früher. Du hast dich nicht im mindesten verändert.“ Sie schaute ihn an. Abwartend.
Sag was, du Knallarsch!, tobte die Stimme in Stephans Kopf. Mensch, mach den Rand auf! Lad sie ein!
Zum Grillen vielleicht?, fragte Stephan in Gedanken zurück.
Vielleicht später, du Holzkopf. Was Naheliegendes! Kaffee und Kuchen!
„Äh … wie wärs, wenn wir einen Kaffee essen gehen?“ fragte Stephan. Er wedelte hilflos mit den Händen. „Ich meine, ein Stück Kuchen trinken. Äääh ...“
Wieder lachte sie. Sie lachte leise. Aber es war ein Lachen, das von Herzen kam: „Umgekehrt wäre besser, findest du nicht? Sie haben ein kleines Cafe gleich um die Ecke. Es gehört, glaub ich, zum Gartencenter. Wär schön, Stephan. Wir könnten ein bisschen miteinander über die alten Zeiten quatschen.“
„Ja dann ...“ Er machte eine Geste zur Tür hin: „Lass uns zusammenbrechen, nein, aufbrechen, meine ich.“ Er überlegte einen Moment lang, ihr den Arm anzubieten, ließ es aber lieber bleiben. Vielleicht keine so gute Idee bei einer verheirateten Frau. Was, wenn ihr Alter in der Nähe war und das sah und in den falschen Hals kriegte? Eins in die Fresse konnte er jetzt absolut nicht gebrauchen.
Sie liefen zur Ausgangstür.
„Ich habe keinen Schirm mit“, gestand Stephan. „Wir müssen eben unterm Regen durchlaufen.“
Monica blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn, eine Geste, die eine frappierende Ähnlichkeit mit Polly hatte. Die machte das auch ständig. „Wird schon gehen. Es ist ja nicht weit. Außerdem bin ich nicht aus Zucker.“ Sie blickte ihn mit schräg gelegtem Kopf an. Wieder eine Geste, wie er sie von Apollonia Kolbe kannte: „Was guckst du?“
„Ich weiß nicht“, antwortete er. „Du erinnerst mich an jemanden.“
Sie liefen los.
„So?“ fragte sie. „An wen denn?“
„An ein Mädchen, dass ich aus der Schule kenne“, gab er zurück. Wow, was sind wir plötzlich schlagfertig, Herr Harrer! Mucho ungewöhnlicho!
Sie betraten das kleine Cafe und suchten sich einen freien Tisch direkt am Fenster.
„Tolle Aussicht“, sagte Stephan und zeigte nach draußen, wo der Monsun in Strömen auf den Parkplatz niederstürzte.
Während sie auf die Bedienung warteten schaute Stephan sein Gegenüber an. Monica Haarmann aus Achen. Sie waren gemeinsam zur Schule gegangen. Er selbst war fast sieben Jahre alt, als er eingeschult wurde. Moni hingegen kaum fünfeinhalb, ein halbes Baby noch. Sie war klein und pummelig und ängstlich gewesen, die kleine Monica. Ein richtiger Speckklops war sie gewesen, rund wie eine Hummel. Hinter ihrem Rücken hatten die anderen Schulkinder sie Rollmops genannt.
Von Anfang an war sie gern in Stephans Nähe gewesen. Auf dem Schulhof hatte sie sich bei der Clique aufgehalten, bei Stephan, Dominik, Matthias, Pia und Astrid. Aber die kannten sich seit Kindergartentagen und sie wohnten in der gleichen Straße. Monica Haarmann wohnte auf der anderen Seite der Stadt. Außer in der Schule hatte sie kaum Kontakt zur Clique.
Später hatte man sich mal im Freibad getroffen oder im Eiscafe. Beim Fahrradfahren war sie auch gelegentlich dabei gewesen. Aber Moni war immer die Außenseiterin geblieben, was auch an ihrem stillen Wesen lag.
Während der Grundschulzeit war sie eine kleine Walze. Dann hatte sie sich mit elf, zwölf Jahren gewaltig gestreckt. Aus dem kleinen Speckzwerg war ein aufgeschossenes Mädchen geworden. Der Speck hatte sich etwas vorteilhafter auf ihrem Leib verteilt, war allerdings nie ganz verschwunden. Erst als es aufs Ende der Schulzeit zuging, war sie schlanker geworden. Heute hatte sie eine geradezu atemberaubende Figur.
Bis zum Ende der Schule war sie ein loses Mitglied der Clique gewesen, hier und da mal mit dabei, aber meist außen vor. Nach der Schule war sie sang und klanglos verschwunden. Niemand wusste, was aus ihr geworden war. Man vermisste sie auch nicht sonderlich. Moni hatte nie richtig dazugehört. Sie war ein Stückchen weit unsichtbar gewesen. Erst als sie weg war, begann Stephan sie zu vermissen.
Die Bedienung kam und nahm ihre Bestellung auf. Als der Kaffee und die Kuchenstücke kamen, tranken sie und aßen.
„Wie ist es dir so ergangen?“ fragte Monica schließlich.
Stephan zuckte die Achseln: „Halt wie es so geht. Ich habe nach der Schule eine Schlosserlehre gemacht.“ Er grinste: „Was meinem alten Herrn gar nicht passte.“
Moni nickte: „Ja. Der wollte dich immer als Büromensch sehen. Wie er selber einer war. Daran erinnere ich mich.“
Tatsächlich? War sie mal mit ihm zuhause gewesen? Oder hatte er über die Ansichten seines alten Herrn mit ihr geredet? Stephan erinnerte sich nicht. Er schämte sich plötzlich ein wenig vor Monica. Er hatte viel vergessen. Er hatte sie all die Jahre kaum beachtet. Sie war da gewesen und auch mal nicht da. Es hatte ihn nicht sonderlich interessiert.
Sie dagegen hatte zu ihm aufgeschaut. Sie war ihm nachgelaufen. Sie war in ihn verschossen. Seit der ersten Klasse schon. Damals hatte Stephan noch gar nichts mit Liebe anfangen können. Er war keiner der Menschen, die eine Kinderliebe empfanden. Das andere Geschlecht begann ihn erst mit dreizehn Jahren zu interessieren.
„Ja“, fuhr er fort. „Ich hatte dann eine gutbezahlte Arbeit und bin früh von zuhause weg. Mit meinem Vater kam ich nicht so gut klar und dann starb meine Mutter früh. Da war ich dann heilfroh, dass ich nicht mehr daheim hockte.“
„Das tut mir leid“, sagte Monica mitfühlend. „Du hast deine Mutter sehr geliebt.“
Ja, das hatte er. Da hatte sie recht.
„Nach ein paar Jahren hat meine Firma rationalisiert und ein Drittel der Leute rausgeschmissen“, fuhr er fort. „Ich war natürlich bei den armen Schweinen, die flogen. Als Junggeselle stand ich ganz oben auf der Abschussliste. Ich fand einen weniger guten Job. Wenig Geld. Miese Arbeit. Miese Vorgesetzte. Das war zum Kotzen. Dann hatte der Herrgott ein Einsehen und erlöste mich: Ich gewann im Lotto. Mehr als zweieinhalb Millionen. Baufdich, war ich raus aus der Misere. Endlich frei. Ich wollte mir meinen Lebenstraum verwirklichen.“
Sie schaute ihn mit ihren umwerfenden Augen an: „Leben auf dem Lande. Viel Grundstück. Großes Haus mit extra Zimmer zum Modellautobasteln. Großer Garten. Selbst Getreide anbauen. Hühner und Kaninchen züchten. Hast du die Feldbahn?“
Wieder verblüffte sie ihn. „Ja, die habe ich. Inzwischen. Vorher ging es nicht.“ Ehe er sichs versah, erzählte er ihr alles, angefangen vom Tag des Lotteriegewinns bis zu dem Augenblick, als sie einander zwischen den Springbrunnen getroffen hatten. Er wunderte sich, wie einfach es plötzlich war. Er konnte frei erzählen, ohne zu stocken.
„Mit meinem alten Herrn habe ich keinen Kontakt mehr, seit dem großen Streit“, schloss er seine Erzählung.
„Armer Stephan“, sagte Monica. Sie schaute ihn mitfühlend und liebevoll zugleich an. „Du hast schon immer gerne laut „HIER!“ gerufen, wenn das Pech verteilt wurde, nicht? Kaufst dir das tolle Haus in Runsach und die Kowak-Bande ekelt dich weg. Wie gemein. Ich finde es schade, dass du bei deinem neuen Haus so wenig Land hast. Ich wünsche dir Glück, dass der sture alte Bauer dir sein Land doch noch verkauft, oder wenigstens verpachtet.“
Sie sagte nicht Saubauer. Monica benutzte keine Kraftausdrücke. Das hatte sie nie getan.
„Kannst ja mal vorbeikommen und dir alles anschauen“, schlug er vor. Woher nahm er bloß den Mut? Er fühlte sich schrecklich nervös und gehemmt.
Ich bin verliebt, dachte er mit einer Mischung aus Unglauben und Schrecken. Ich bin verknallt. Dabei bedeutete mir Monica früher nichts. Sie war einfach nur da. Sie war Moni. Sonst nichts.
Ihm schlug das Herz, als sie seine Einladung freudig annahm.
„Und du? Wie erging es dir?“ fragte er. „Nach der Schule warst du plötzlich verschwunden. Was hast du gemacht?“
„Ich habe eine Ausbildung zur Restauratorin gemacht“, sagte Monica. „Ich restauriere alte Bücher. Dazu musste ich nach Augsburg. Deshalb war ich dreieinhalb Jahre nicht in Achen. Ich kam nur einmal im Monat am Wochenende heim. Die Zugfahrt kostete viel Geld und ich bekam nur eine sehr geringe Ausbildungsvergütung. Aber ich wollte schon immer so einen Beruf. Heute arbeite ich bei Ahrend & Co in Achen. Ich verdiene nicht schlecht.“
„Ahrend?“ Stephan kratzte sich am Kinn. „Ist das nicht das winzigkleine Buchgeschäft in der Fußgängerzone?“
„Klein? Von wegen! Es ist schmal, aber es reicht bis in den vierten Stock. Wir haben ein riesengroßes Antiquariat. Aus ganz Deutschland kommen Käufer zu uns. Inzwischen läuft natürlich viel über das Internet. Wir restaurieren Bücher im Kundenauftrag und kaufen Altbestände auf. Der Handel lohnt sich. Es gibt nicht viel Konkurrenz. Ich bin total happy, diesen Job zu haben.“
Sie erzählte weiter: „Nach der Lehre blieb ich zwei Jahre in Augsburg, bis ich die Stelle bei Ahrend & Co bekam. Dann lernte ich meinen Mann Oliver kennen. Wir heirateten.“
Monica schaute Stephan an. Traurigkeit stand in ihren Augen: „Er war ein guter Mann. Wir liebten uns. Es war schön. Aber vor drei Jahren ist er bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Auf der Brücke im Wald bei Achen war Glatteis. Er hat die Kontrolle über das Auto verloren und ist abgestürzt. Man erkennt heute noch, wo das Geländer neu gemacht wurde.“
„Das tut mir leid, Moni“, sagte Stephan. Er empfand ehrliches Mitgefühl. „Habt … gibt … hast du Kinder?“
Die Traurigkeit in Monicas Augen vertiefte sich. Sie schüttelte den Kopf: „Ich war schwanger. Als ich von Olivers Tod erfuhr, verlor ich das Kind.“
„Mein Gott! Moni! Das ist furchtbar.“ Mehr konnte er nicht sagen. Was sollte man in einem solchen Fall auch sagen?
Sie nickte. „Furchtbar. Ja. Mir ging es nicht gut. Noch heute knabbere ich daran.“ Sie schaute ihn an: „Aber das Leben geht weiter, nicht wahr? Man darf nicht nur zurückblicken. Man muss nach vorne schauen.“
Sie tranken Kaffee und aßen ihren Kuchen. Dabei unterhielten sie sich über die alten Zeiten und erzählten sich gegenseitig Anekdoten aus der gemeinsamen Schulzeit.
Irgendwann wurde es Zeit, aufzubrechen. Sie verabredeten ein neues Treffen. Draußen hatte der Regen endlich nachgelassen.
„Bei mir schräg gegenüber wohnt ein kleines Mädchen, das dir aufs Haar gleicht“, sagte Stephan, als sie über den Parkplatz schlenderten. An die hast du mich erinnert, als wir uns eben trafen.
Moni lachte ihn an: „Polly? Apollonia Kolbe?“
„Ja.“ Er nickte. „Sie sieht dir dermaßen ähnlich! Wie eine kleine Schwester.“
„Sie ist die Tochter meiner kleinen Schwester Sandra“, sagte Monica lachend. „Die Leute staunen immer, wenn sie uns drei sehen. Alle denken, Polly müsste meine Tochter sein. Sie gleicht ihrer Tante mehr als ihrer Mutter. Sandra und ich sehen uns überhaupt nicht ähnlich. Sie kommt nach unserer Großmutter. Ich hingegen sehe aus wie meine Mutter und Polly kommt auch nach ihr.“
Stephan verstand. Familienähnlichkeit. Aha.
„Komisch, dass wir uns nicht mal getroffen haben, als du deine Schwester besucht hast“, meinte er. „Ich bin oft bei Kolbes und die bei mir. Wir grillen gemeinsam und Georg und ich haben für Pollys Meerschweinchen ein dreistöckiges Gehege an der Garagenwand gebaut.“
„Ich war ein halbes Jahr lang in Norddeutschland“, erklärte Monica. „Wir haben in Hamburg eine Filiale eröffnet, um näher an den englischen und belgischen Kunden dran zu sein. Ich habe das Geschäft dort oben aufgebaut. Ich bin erst seit einer Woche wieder in Achen. Meine Chefs wollten, dass ich im hohen Norden bleibe und die Filiale leite. Sie boten mir eine saftige Gehaltserhöhung und eine Beteiligung am Gewinn. Ich habe abgelehnt. Ich wollte zurück in die Heimat.“ Sie schaute ihn an, dass ihm ganz anders wurde: „Ich bin froh, dass ich darauf bestand, wieder nach Achen zu kommen, Stephan.“

08.03.2015 19:07 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
Neues Thema erstellen Antwort erstellen
Gehe zu:

Powered by Burning Board Lite 1.0.2 © 2001-2004 WoltLab GmbH