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Stefan Steinmetz
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Das Lehm(22) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Die Tage vergingen. Themas und Trischa machten Kopien des geheimen Heftes. Sie kamen gut voran und jeder hatte Pläne, wo die Hefte kurz vor ihrer Flucht deponiert werden sollten. Trischa gab ihre kopierten Hefte Themas mit. Sie hatte zu viel Angst, ihre Mutter könne sie finden, wenn sie in Trischas Zimmer aufbewahrt wurden.
Das Mädchen hatte Angst. Je näher der Fluchttermin rückte desto schlimmer wurde ihre Angst.
„Es wird Zeit, dass du Kleidung aus dem Haus schmuggelst“, sagte Themas eine Woche vor Neumond.
Trischa sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Sie wirkte ertappt.
„Trischa? Hast du gehört? Du musst Kleidung für dich und deine Schwester in einen Rucksack packen und mitbringen.“
Sie saßen draußen beim Knorrengebüsch, wo sie ihre Kopien machten. Man hatte von dem Hügel aus einen guten Rundumblick und konnte frühzeitig erkennen, wenn jemand kam.
Trischa blickte zu Boden. Als sie sprach, verstand er sie fast nicht, so leise war ihre Stimme: „Ich habe Angst. Meine Mutter räumt oft in meinen Sachen herum. Was, wenn sie etwas merkt?“ Sie sah unglücklich aus und sehr klein und verletzlich.
Themas legte ihr einen Arm um die Schultern: „Bring in den nächsten Tagen immer eine Kleinigkeit mit. Einen Rock, einen Bluse, ein Paar Schuhe, Unterwäsche, egal was. Immer nur ein Stück. Das wirst du schaffen, Trischa. Ich bewahre alles auf unserem Dachboden auf. Ich habe eine Ecke für mich. Dort befinden sich meine eigenen Sachen, mein Drachen, den ich im Herbst steigen lasse, meine Spielsachen von früher und so Zeug.“
Sie schaute ihn furchtsam an. „Ich wage nicht, einen Rucksack aus dem Haus zu tragen. Meine Mutter würde sofort fragen, was ich damit will. Ich weiß nicht, was ich dann sagen soll.“
„Ich packe dein Zeugs in einen Rucksack von uns“, sagte Themas. „Denke bitte daran, dass du auch Kleidung für deine Schwester besorgen musst. Eine Garnitur reicht. Wir werden in Rodental zusätzliche Klamotten erhalten. Meine Tante hat es versprochen.“
Trischa seufzte. „Ich fürchte mich, Themas“, sagte sie. „Ich habe Angst, dass meine Mutter etwas merkt. Sie räumt ständig meine Kleider um. Wenn sie nur nichts merkt!“ Sie schaute ihn aus großen Augen an: „Themas, ich fürchte mich ja so! Wenn ich erwischt werde, was dann? Bitte geh nicht ohne mich fort!“ Ein fiepender Laut brach aus ihr hervor. „Lass mich nicht allein zurück!“
Er nahm sie in die Arme. Sie kuschelte sich eng an ihn. „Werde ich nicht, Trischa. Wenn alle Stricke reißen, dann kommt ihr beiden halt ohne Ersatzklamotten mit raus. Hauptsache, wir können dem Lehm entfliehen.“
„Wann sollen wir es ihnen sagen?“, fragte Trischa.
„Während der Bürgerversammlung einen Tag vor Neumond“, bestimmte er. „Keinen Tag eher! Du weißt, warum.“

*

Wenige Tage vor Vollmond läutete die Glocke am Haus des Bürgermeisters. Prick Holfer, der mit seinem Fernrohr ins Lehm geschaut hatte, verkündete, dass die Lehma dem Dorf einen Besuch abstattete. „In einer halben Stunde sind sie hier. Wir wollen ihnen einen warmen Empfang bereiten.“
Themas, der seiner Mutter half, die trockene Wäsche von der Leine zu nehmen, schaute auf. Die Lehma kam. Auch das noch! Was wollte Grutie Umpfbeetl in Lehmborn?
Kaum hatte die kleine Prozession mit der Lehma das Dorf erreicht, liefen Boten überall herum, geschickt von den Priestern. Teele Ärlemon kam die Straße herunter gerannt: „Alle Bürger mögen sich beim Haus von Prick Holfer versammeln! Die Lehma will es so! Kommt alle zum Bürgermeisterhaus!“
Die Einwohner Lehmborns begaben sich zum Holfer-Haus. Bald war der freie Platz vor dem Gebäude mit Menschen bevölkert. Themas stand Hand in Hand mit Trischa und wartete. Die kleine Lehma stand oben auf der Treppe, umgeben von den Priestern. Das sah nach einer hochoffiziellen Angelegenheit aus.
Themas schaute sich Grutie Umpfbeetl an. Das Mädchen war ein Stück gewachsen. Sie hatte einen Schuss gemacht, wie man so sagte. Es gereichte Grutie nicht zum Vorteil. Nun sah sie noch dünner und schlaksiger aus. Man konnte ihre mageren X-Beine unter ihrem rotwollenen Kamelhaarrock sehen. Ihre bloßen Füße standen schief und einwärts gedreht und ihr Gesicht war hagerer geworden, was sie schlechtgelaunt aussehen ließ.
Die Lehma stand hocherhobenen Hauptes auf der Treppe und ließ ihren Blick über die versammelten Menschen schweifen. Themas stellte fest, dass nicht nur das Haar des Mädchens lehmfarbig geworden war; auch Gruties Augen nahmen allmählich die Farbe von Lehm an. Die unnatürliche Farbe verlieh ihrem Blick etwas Fremdartiges.
Die Lehma hob die Stimme: „Menschen von Lehmborn! Ich bin gekommen, um euch zu berichten, was sich zugetragen hat.“
„Tatsächlich? Wär ich von selbst nie im Leben drauf gekommen.“ Themas warf einen Blick zur Seite. Da stand sein Freund Fitchell mit vor der Brust verschränkten Armen und schaute Löcher in den Himmel. „Wie gut, dass unsere hochehrwürdige Lehma uns nun sagen wird, was passiert ist. Ich möchte wetten, dass sie als erstes meldet, dass es heute morgen hell wurde.“
Themas hielt die Luft an. Fitchell der Rebell! Sein Freund sprach nicht besonders leise. Etliche Leute um ihn herum hatten jedes Wort verstanden, das der Sohn der Familie Derber von sich gegeben hatte. Themas sah, wie sich so mancher ein Grinsen verkneifen musste.
„Ich habe Wichtiges zu vermelden“, sprach die Lehma. Ihre Stimme trug weit über den Versammlungsplatz.
„Liebe Lehmborner. Ich bin die dünne Lehma und meine dünne Stimme klingt wie eine ungeschmierte Windmühle“, lästerte Fitchell ungerührt. „Eigentlich wollte ich keine Lehma werden sondern eine bronzene Radnabe, der das Fett ausgegangen ist. So quietschen kann ich schon; ich muss nur noch runder werden.“ Die Leute grinsten – auch Themas.
Ja, dachte Themas, du wirst eins der Hefte bekommen, lieber Freund. So frech und rebellisch wie du bist, wirst du garantiert noch welche mitnehmen, wenn du abhaust aus dem Lehm. Den Mut dazu hast du.
Als er die Verkündigung der Lehma vernahm, verging ihm das Grinsen.
„Im Draußen sind Abtrünnige gesehen worden“, rief Grutie Umpfbeetl. „Leute, die für uns im Lehm nicht mehr existieren. Ketzer, die Schande über sich geladen haben!“
Themas´ Magen zog sich zu einem kleinen heißen Ball zusammen. Das konnte nur bedeuten, dass man seinen Onkel und seine Tante gesehen hatte. Wie konnte das sein?
„Ein paar Männer waren außerhalb der festen Termine im Draußen“, fuhr die Lehma fort. „Sie brachten eine Extralieferung Ziegel nach draußen. Sie haben die Abtrünnigen gesehen, wie sie durch die Gassen Landsweilers strichen.“
Der Blick Gruties wurde stechend: „Sie lauern dort, um Gläubige zum Straucheln zu bringen! Sie wollen Menschen, die reinen Herzens sind, verderben! Ihr werdet doch nicht dem Geschwätz dieser Aussätzigen lauschen, Bürger von Lehmborn?“
Themas konnte förmlich spüren, wie alle sich unter dem Blick Gruties duckten.
„Ich werde für eine Weile in Lehmborn bleiben“, verkündete die Lehma. „Das Lehm will es so. Ich will bei euch sein und euch stärken gegen üble Einflüsterungen.
Wer das Lehm nicht ehrt, ist des Lehms nicht wert! Das wisst ihr alle. Wer im Lehm geboren ist, der gehört dem Lehm. So geht die Regel. Wir gehen nur ins Draußen, um Handel zu treiben. Wir gehören ins Lehm. Wir gehören dem Lehm. Wir sind nicht wie die da draußen! Ein Leben außerhalb des Lehms ist kein Leben!“
Grutie starrte die versammelten Menschen an. „Das Lehm ist ewig. Wer gegen die Regeln des Lehms verstößt, der fällt dem Lehm anheim!“
Grutie richtete sich noch höher auf. Es sah grotesk aus, wie das dünne Ding sich aufspielte, aber das Mädchen hatte Macht über alle Leute auf dem Platz. Sie hatte Macht über Leben und Tod. „Ich habe vom Lehm gehört, dass es eventuell um eine Gabe bitten wird.“
Es wurde totenstill auf dem Platz.
Themas musste schlucken. War das ernst gemeint oder nur Gruties übliches überhebliches Geschwätz? Hatte nicht das Lehm selbst ihr Einhalt geboten, als sie es übertrieb?
„Noch höre ich die Stimme des Lehms nicht laut und deutlich“, fuhr Grutie fort. „Aber es wird zu mir sprechen. Deswegen bleibe ich in Lehmborn. Ich kann fühlen, dass es hier eine Botschaft für mich hat.“
Verflixt!, dachte Themas. Das hat noch gefehlt, dass sie hier herumlungert! In ein paar Tagen wollen wir abhauen.
Nun sah es so aus, als würde das Lehm eine Gabe außerhalb der Reihe fordern.
Nicht Thimas!, dachte Themas. Oh nein!
Im war bange zumute. Trischa auch. Er spürte, wie ihre Hand zitterte. Es konnte ihre Zwillingsschwester ebenso treffen wie seinen Bruder.
„Nein! Nicht!“ Ein unterdrücktes Flüstern direkt neben Themas. Er warf einen Blick zur Seite. Dort stand Drisie Honick, die kleinen Hände zu Fäusten geballt. Die Neunjährige biss sich auf die Unterlippe und starrte die Lehma auf der Treppe mit wildem Blick an. Von seinem Zwillingsbruder wusste Themas, dass Drisie seit Jahren Kontakt mit ihrer eingekerkerten Zwillingsschwester hatte. Es gab so viele Kinder, die heimlich ihre Zweitlinge besuchten und um ihr Leben fürchteten.
Tante Brilla und Onkel Jidler sind in Landsweiler gewesen, um unsere Flucht vorzubereiten, dachte Themas. Sie haben Geld in dem hohlen Baum deponiert und …
Ja, was eigentlich? Themas runzelte die Stirn. Das war doch längst abgesprochen. Waren vielleicht andere Geflohene in der Ortschaft am Rand des Lehms gewesen? Leute, die versuchen wollten, Kontakt zu ihren Familien im Lehm aufzunehmen? Aber doch nicht zu dieser Zeit! Die nächste Karawane ging doch erst bei Vollmond ins Draußen. Wozu sollten sie sich ausgerechnet jetzt in Landsweiler aufhalten?
Ihm kam die Sache komisch vor.
Er spürte, dass ihn jemand ansah. Es war Grutie Umpfbeetl. Sie blickte ihn mit ihren lehmfarbenen Augen an. Schon wieder!
Was will sie von mir? Warum glotzt sie mich jedes Mal an?
„Themas Irrlucht“, sagte die Lehma, „hast du gehört, was ich gesagt habe?“ Ihr Blick wirkte lauernd.
Themas wurde der Kragen eng. Wusste das kleine Biest etwas? War es das? War sie deswegen nach Lehmborn gekommen? Konnte es sein, dass man ihn mit seiner Tante und seinem Onkel gesehen hatte? Aber das wäre doch sofort gemeldet worden.
Doch wenn jemand nur eine Kleinigkeit gesehen hatte; etwas im Augenwinkel erkannt hatte. Wenn er sich nicht sicher war, aber Verdacht geschöpft und diesen Verdacht Grutie Umpfbeetl gemeldet hatte? Ein bloßer Verdacht reichte nicht für ein Gerichtsverfahren, wohl aber zu Überwachungsmaßnahmen. War Grutie ins Dorf gekommen, um ihm und Trischa hinterher zu spionieren?
„Ich habe gehört, was du sagtest“, antwortete Themas. Er tat möglichst unbeteiligt.
„Themas Irrlucht und Trischa Banbirk, die Tochter des Windmüllers von Lehmborn“, sagte die Lehma. „Ihr seid befreundet, nicht wahr?“
Was fragst du so blöd?!, dachte Themas. Das weiß ja wohl jeder!
„Schön“, sagte Grutie. „Ihr zwei seid ein hübsches Paar.“ Sie wandte sich an Mook Orpek: „Ich möchte im Haus des Bürgermeisters wohnen, lieber Mook. Wir werden einige Tage in Lehmborn bleiben.“ Sie schaute in die Menge. Themas kam es so vor, als sehe das Mädchen ihn und Trischa an. „Bis nach Neumond.“ Grutie schaute zum Himmel, als suche sie etwas: „Es ist ja bald Neumond, nicht wahr?“
Zum Lehm nochmal!, dachte Themas. Weiß sie etwas? Oder hat sie eine Ahnung?
Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass Gruties Anwesenheit im Dorf eine Gefahr darstellte.
Die geplante Flucht würde dadurch gewiss nicht einfacher werden.

23.08.2017 16:42 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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