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Stefan Steinmetz
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Dabei seit: 10.02.2006
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Der Elfenmacher(53) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Stephan stand in der garagengroßen Höhle und schaute den Oldtimer an. Die Natur hatte den Wagen teilweise erobert. Trotz des Schattens wuchs so einiges auf den Sitzen und im geöffneten Kofferraum. Der Anblick schenkte ihm keine Befriedigung, obwohl er genau wusste, dass der Besitzer dieses alten Autos derjenige welche gewesen war, der ihm auf den Fahrersitz geschissen hatte.
Nach den ersten Vorkommnissen hatte Stephan kleine Kameras versteckt. Die Dinger funktionierten mit Bewegungsmeldern und sie zeichneten auch bei wenig Licht auf. Leider war das Ergebnis ziemlich schwach. Die Bilder waren unscharf. Der Polizei hatte er damit erst gar nicht kommen brauchen.
Aber er hatte den Übeltäter erkannt, den Anführer der Gruppe, die ihm das Auto kaputtgemacht hatten und Rache geschworen. Im Gegensatz zu Janek Kowak hatte Stephan es allerdings nicht fertig gebracht, auf den Fahrersitz des Oldtimers zu kacken. Er war schlicht nicht gelenkig genug. Er hatte stattdessen einmal ausgiebig auf die Polster gepieselt, war sich dabei aber dermaßen bescheuert vorgekommen, dass er es nach dem zweiten Mal unterließ.
Er kraulte den Leutnant. „Lass gut sein, Herr Leutnant. Komm. Gehen wir.“ Er verließ den Ort seiner Schandtat und schwor sich, nie mehr wiederzukehren. Die Angelegenheit war für ihn erledigt. Er war nicht länger auf dem Rachefeldzug.
Auf dem Weg durch die Heide ließ er seine Aktionen in Gedanken Revue passieren. Ja, es war cool gewesen – ganz zu Anfang. Da war er richtig wild darauf gewesen, es den Kowaken heimzuzahlen. Die vielleicht geilste Aktion war die Fütterung von Frank Kowaks nagelneuem Rasentraktor gewesen. Der gute Frank hatte ein ziemlich großes Grundstück und das bestand vor allem aus Rasen. Er hatte sich in Achen einen teuren Rasentraktor gekauft und auf dem Marktplatz damit geprahlt. Gott, der Kerl hatte sich aufgeführt, als hätte er sich einen Rolls Royce gekauft.
Also war Stephan freitagsnachts bei Kowak eingestiegen und hatte eine Handvoll Zuckerwürfel in den Tank des Super-Rasentraktors gefüllt. Samstagsnachmittags war er dann „zufällig“ zur Stelle gewesen, als Frank Kowak den Traktor aus dem Schuppen holte. Er hatte am Rande des Kowakschen Grundstücks hinter einer Hecke gelauert und gelauscht.
Zuerst war der famose Traktor mit ruhig laufendem Motor aus dem Schuppen hervorgekommen. Frank Kowak fing an, seinen Rasen zu mähen, auf den er sich ebenfalls eine Menge einbildete. Es dauerte nicht lange und der Motor des Rasen-Rolls-Royce fing an zu stottern. Dann gab es ein lautes Schürbeln, die Kiste fing an, fürchterlich zu qualmen und es tat einen Knall. Das war das Ende des Kowakschen Rasentraktors.
Stephan stand hinter der Hecke und musste sich die Hand vor den Mund halten, damit man ihn nicht lachen hörte. Er lauschte Frank Kowaks Gebrüll. Ooh, wie schön der jodelte. Dieses Timbre. Herrlich!
Aber es fing an, keinen Spaß mehr zu machen. Pfeifer den Backofen zu killen, war blöde gewesen. Vor allem, als Pfeifers Tochter entführt wurde. Da fühlte sich die Aktion nur noch schal an.
„Es ist gut, dass es vorbei ist“, sprach Stephan zum Leutnant, während sie durch die Heide zum Feldweg zurück spazierten. Er machte einen Umweg über Runsach. Mit dem Spitz spazierte er über den Dorfplatz und an der Marienkapelle vorbei. Er betrat das kleine Gotteshaus und machte drinnen einige Fotoaufnahmen.
Dabei schaute er sich den geheimen Eingang an. Es war faszinierend. Es war so gut wie unmöglich, den kleinen Schalter zu finden, mit dem man den vorgelegten Riegel vom Inneren der Kapelle aus öffnen konnte. Der Mechanismus befand sich am Rande einer Vertäfelung. Stephan hatte lange suchen müssen, bis er ihn fand. Damit hatte Eugen Niedermeyer den Zugang zum Erdstall von der Kapelle aus öffnen können.
Für sein Alter war der Mechanismus des Riegels unglaublich. Stephan kannte sich mit antiken Schlössern aus. Hier war ein Meister seines Fachs am Werk gewesen.
Stephan ging wieder ins Freie. Er hielt dem Spitz die Tür auf. Der marschierte nach draußen. Sie machten sich auf den Heimweg. Diesmal benutzten sie die normale Straße nach Rhensach.
Stephan schaute nach rechts ins Wiesental. Wie oft mochte Eugen Niedermeyer tief unter der Erde nach Runsach gelaufen sein, um seine Opfer zu holen? Bei dem Gedanken überlief es ihn eiskalt.
Ich saß praktisch daneben, wenn er die Mädchen zu Tode folterte. Der sagte mir, er müsse Pläne für eine neue Alarmanlage ausarbeiten und in Wirklichkeit hat er drunten in seinem Keller den Mädchen Grauenhaftes angetan. Schrecklich!
Er kam zu seinem Haus. Als er an Eugen Niedermeyers Haus vorbeikam, schaute er kurz nach hinten. Dort war nichts mehr zu sehen. Die Polizei hatten den oberen Teil des Niedermeyerschen Gartens komplett umgegraben. Man hatte etliche kleine Knochen der Mädchen gefunden, deren Leichen Niedermeyer dort vergraben hatte. Eugen hatte die Leichen in der Erde gelassen, bis die Würmer alles Fleisch von den Knochen gefressen hatten. Dann hatte er die Knochen ausgegraben und in einem Spezial-Shredder kleingehackt und in die Ache geschüttet. Er hatte einige der ganz kleinen Knöchelchen übersehen.
Mittels DNS-Analyse hatte man die Knochen den einzelnen Opfern zuordnen können und so konnten die armen Eltern wenigstens ein paar Knochen beerdigen, zusammen mit den linken Händen ihre ermordeten Töchter. Die Polizei hatte die Hände nach Abschluss der Untersuchungen freigegeben.
Niedermeyers Haus stand leer. Bislang hatte man nichts davon gehört, was die Erben damit vorhatten.
Stephan öffnete das Gartentürchen. Er ging nach hinten. Monica war in der Arbeit. Er wollte nach seinen Hochbeeten sehen. Plötzlich kläffte der Spitz los. Er rannte hinters Haus.
Stephan folgte seinem Hund. Auf dem Grillplatz fand er einen Besucher vor. Siegfried Kowak saß in einem der Gartenstühle. Bei Stephans Eintreffen erhob er sich.
„Aus“, befahl Stephan. Der Leutnant hörte auf zu bellen. Stephan musterte Kowak. Was wollte der Kerl auf seinem Grundstück?
Siegfried Kowak kam auf ihn zu. „Auf ein Wort, Harrer.“ Er blieb drei Schritte vor Stephan stehen: „Harrer, ich bin gekommen, um mich bei Ihnen für das Leben meiner Enkelin Chayenne zu bedanken.“
„Bitte?“ Stephan runzelte die Stirn. Er tat, als verstehe er nicht.
Kowak brachte so etwas wie ein Lächeln zustande: „Sie haben richtig gehört. Ich möchte Ihnen für das Leben meiner Enkelin danken. Ich weiß, dass Sie die Polizei alarmiert haben. Hartmut Großberg wohnt nahe dem Telefon in Rhensach. Wir sind Freunde seit der Schulzeit. Er war an dem Abend draußen. Er ist schläft schlecht ein. Daher macht er jeden Abend einen Spaziergang. Kurz bevor er zuhause ankam, musste er mal dringend hinter eine Hecke. Er stand nur wenige Meter von dem Telefon entfernt, als Sie im Laufschritt angetrabt kamen und Ihre Nummer mit dem italienischen Gastarbeiter abzogen.“
Wieder produzierte Kowak so etwas wie ein Lächeln: „Hartmut sagte, Sie seien wirklich gut gewesen; sie hätte total echt geklungen.“ Nun lächelte Kowak tatsächlich: „Aber Sie haben sich in ihrer Aufregung verplappert. Sie nannten Chayennes Vor- und Nachnamen. Hartmut hat es genau gehört. Und er hat Sie erkannt trotz dieses schwarzen Überfallanzugs. Am Tag nach der Entführung Chayennes hat er mich angerufen und mir alles gesagt.“
Siegfried Kowak schwieg. Er schaute den Boden vor seinen Füßen an, als gäbe es dort etwas ungeheuer Interessantes zu sehen. Schließlich holte er tief Luft und sah Stephan an: „Ich kann Sie wahrscheinlich nicht im Verzeihung bitten und Sie werden mir wohl nicht vergeben, doch ich möchte Ihnen sagen: Es tut mir Leid. Es tut mir Leid, was man Ihnen angetan hat. Die Verantwortung dafür trage ich – ich allein. Sie taten es nur, weil ich es von ihnen verlangte.“
Stephan hörte still zu. Er unterbrach Siegfried nicht. Er wusste, wie schwer dem alten Mann die Worte fielen.
„Es war unfair von mir, es von meinen Verwandten zu verlangen“, fuhr Kowak fort. „Erst recht war es unfair Ihnen gegenüber, Harrer. Sie konnten nichts für die verfahrene Situation. Sie haben nur ein Haus mit Land gesucht, wo Sie Selbstversorger spielen konnten. Ihr gutes Recht wie ich meine. Sie konnten nicht wissen, dass Albert Hartmann Ihnen die zusätzlichen zwei Hektar Ackerland absichtlich so günstig überlassen hat. Der machte das, um uns Kowaks eins auszuwischen.
Damals waren wir schon mittendrin, uns ein zusätzliches Standbein zu schaffen. Wir haben überall Land aufgekauft, weil sich abzeichnete, dass die Nutzung von Energiepflanzen Geld einbringt. Viele der anderen Nebengeschäfte liefen nicht mehr so gut und dann hat auch noch die CERENA dicht gemacht. Das war ein harter Schlag für die ganze Familie. Praktisch jeder einzelne Haushalt der Kowaks war von der Werksschließung betroffen und es gab kaum Aussicht auf neue Arbeit in unserer strukturschwachen Gegend.
Was man Ihnen antat, war großes Unrecht, Harrer. Wirklich.“
Stephan nickte stumm.
„Ja“, sagte Kowak, „und dann geht einer wie Sie hin und rettet meiner Enkelin das Leben. Wissen Sie, Harrer, der Verlust aller Mädchen hat mich zutiefst getroffen. Es war jedes Mal, als ob ein Messer tief in mein Herz schneidet. Aber Chayenne war für mich immer schon etwas Besonderes. Man soll alle Kinder gleich lieben und bei Gott, ich tat es. Trotzdem war Chayenne eine Ausnahme. Sie war ein so liebes Mädchen. Ich konnte nicht anders, als sie am meisten zu lieben. Wenn ich sie verloren hätte ...“ Siegfrieds Stimme erstarb.
„Haben Sie ja nicht“, sagte Stephan. „Ihr Glück, dass ich in der selben Nacht unterwegs war, um … um ein Paket abzuliefern.“ Er setzte ein grimmiges Lächeln auf. „Wenn ich das nicht getan hätte, hätte ich den Entführer nicht gesehen und hätte es nicht melden können.“
Kowak nickte. „Das Paket. Ja.“ Er schaute Stephan an: „Also hat Leo nicht gelogen, als er behauptete, dass er viele der … hmm … Angelegenheiten nicht verschuldete. Anfangs habe ich ihm nicht geglaubt. Jetzt weiß ich es besser.“
Kowak schaute Stephan an: „Es ist vorbei, nicht? Ich meine, es wäre an der Zeit, die Sache als gewesen zu betrachten. Finden Sie nicht auch?“
Stephan nickte nur. Irgendwie war er arg maulfaul. Kowak überraschte ihn. Es musste dem Alten entsetzlich schwerfallen, so vor ihm zu stehen. Kowak musste eine Kröte nach der anderen schlucken. Das war gewiss nicht angenehm. Nicht, dass der alte Siegfried es nicht verdient gehabt hätte.
„Kann ich also davon ausgehen, dass die Aktionen gegen meine Familie aufhören werden?“ fragte Siegfried.
„Ich bin fertig“, sagte Stephan. „Was ich mir vorgenommen hatte, habe ich getan. Ehrlich gesagt, hätte ich beinahe schon früher damit aufgehört. Es hat mich zum Schluss nur noch angekotzt. Es machte keinen Spaß. Es war widerlich. Aber ich hatte mir geschworen, zurück zu schlagen. Also tat ich es.“ In kurzen Sätzen umriss er seinen wachsenden Unwillen und wie er immer weniger Gefallen daran fand, anderen Menschen bösartige Streiche zu spielen. „Das mit dem Kreuzweg brachte ich fast nicht zustande, aber es war als krönender Abschluss so vorgesehen. Ich habe ja zu Beginn nur anderen Leuten aus Ihrer Familie Streiche gespielt. Sie sollten spüren, wie die Einschläge immer näher kommen und dann: Päng! Der Kreuzweg. Das flackernde Fanal. Und zum Nachtisch ausgerissene Rosen in Hundekot.“
Stephan grinste schief. „Die Scheiß-Rosen. Ja. Die sollte es nicht mehr geben. Ich stand vor Franziskas Haustür und dachte mir: Hör auf! Schmeiß das dämliche Paket in die Ache. Schreib der Alten einen bösen Brief, über den sie sich schön ärgern kann, aber nicht das. Lass es, Stephan.“
Stephan visierte Siegfried an: „Aber dann hörte ich sie am Telefon trompeten, wie toll es war, meinen Hund zu vergiften und mir mit dem Gifttod zu drohen. Da war´s vorbei.“
Kowaks Augen weiteten sich: „Hund vergiften? Ich … ich verstehe nicht.“
Stephan nahm sein Gegenüber aufs Korn. Log Kowak? Er sah ehrlich überrascht aus. „Man hat meinen Spitz vergiftet. Giftköder auf mein Grundstück geworfen. Der arme kleine Kerl wäre beinahe elend verreckt. Und dann noch der Drohbrief.“ Er erzählte in aller Ausführlichkeit.
Überm Zuhören wurde Siegfried Kowak bleich.
„Nein!“ sagte er zum Schluss. „Nein! Oh mein Gott! Das habe ich nicht verlangt! Niemals! Ein unschuldiges Tier! Das ist, als ob man es an einem unschuldigen Kind auslässt! Das war nicht recht! Nein!“
Er fasste sich ins Gesicht. Er schüttelte mehrmals den Kopf, als müsse er etwas abschütteln.
„Nein!“ wiederholte er. „Das hätte nicht geschehen dürfen. Man hat Ihnen Unrecht angetan. Ich werde mit Franziska reden, Harrer. Das garantiere ich. Das hätte nie geschehen dürfen!“
Wieder schüttelte Kowak den Kopf: „Furchtbar. Einfach furchtbar.“
Stephan zuckte die Achseln: „Ehrlich gesagt, mich wunderte es nicht. Nach allem, was ich von den Kowaks so zu hören bekam.“
Siegfried presste die Lippen aufeinander. Er nickte. „Ja. Kann ich mir vorstellen. Kowaks halten zusammen, komme was wolle. Wenn einer bedroht wird, steht sofort die gesamte Familie hinter ihm. Zusammenhalt. Familienzusammenhalt. Das war das einzige, was wir hatten, damals nach dem Krieg.
Es war schlimm. Sehr schlimm. Wir wurden aus Schlesien vertrieben. Die Familie wurde auseinander gerissen. Viele kamen auf der Flucht vor den Russen um. Tote Kinder mussten unbegraben am Wegesrand zurückgelassen werden.
Mein Vater holte die in ganz Süddeutschland verstreute Familie in Runsach zusammen. Er spürte jedes einzelne Familienmitglied auf und holte es hierher. Er gründete die Lederwarenfabrik. In Schlesien waren er und seine Brüder ja im Ledergeschäft tätig gewesen. Sie brachten ihre Erfahrung mit. Die Fabrik blühte auf. Sogar Leute aus den umliegenden Dörfern fanden Arbeit bei uns.
Später wechselten mehr und mehr Leute zur CERENA über. Als die Ende der Sechzigerjahre gebaut wurde, zeichnete sich ab, dass es mit der Lederwarenfabrik abwärts zu gehen begann. Die ausländische Billigkonkurrenz machte uns schwer zu schaffen. Es kam gerade recht, dass der Laden dann abbrannte.“
Stephan musste grinsen: „Es heißt, es war ein Warmabriss.“
Kowak stritt es nicht ab: „Mein Vater hat das gedeichselt. Frag mich nicht, wie, Harrer. Der ist schon immer krumme Wege gegangen, um ans Ziel zu kommen. Es ging nach dem Weltkrieg nicht anders. Er musste die Familie irgendwie durchbringen. Also hat er Geschäfte gemacht, die nicht unbedingt sauber waren. Waren verschoben. Geschmuggelt. Diebesgut verhökert. Alles mögliche halt. Damals haben viele so gehandelt. Aber er behielt es bei, auch als es nach dem Krieg wirtschaftlich aufwärts ging. Und mir hat er es von Kind an eingebläut. Ich kenne es nicht anders. Auch dem Rest der Familie geht es ähnlich.“
Kowak seufzte schwer: „Wenn man mal damit angefangen hat, die krummen Wege zu gehen, findet man nur schwer auf die Straße zurück, die geradeaus führt, Harrer. Sehr schwer, das kann ich Ihnen sagen. Die Jüngeren hatten es da leichter. Immer mehr Kowaks wählten den geraden Weg. Es kam zu einem Riss in der Familie; einem Riss der zu einer unüberbrückbaren Kluft zu werden drohte.
Es sind vor allem die Gradlinigen, die nach Wernsach gehen. Siedeln sich dort bei diesem neuen Autozulieferer an. Die Entführung der Mädchen hat es nur beschleunigt.
Doch die Zeit der krummen Touren auf krummen Wegen ist vorbei, Harrer. Endgültig vorbei. Mir wurde das klar, als meine Frau beinahe gestorben wäre. Sie hat von mir verlangt, meinen Frieden mit dem Herrgott zu machen und mit den krummen Geschäften aufzuhören. Als sie lebend und gesund aus dem Krankenhaus zurückkam, schwor ich, ihr den Willen zu tun.
Als dann meine Lieblingsenkelin beinahe einen grausamen Tod gefunden hätte, da wurde ich erst richtig wach.“
Siegfried schaute Stephan offen in die Augen: „Es wird keine Schikanen mehr geben. Niemals wieder. Mein Wort darauf. Und ich bitte erneut um Vergebung für das, was vorgefallen ist. Nicht mir zuliebe sondern meiner Familie zuliebe. Meine Familie ist alles, was ich habe.
Bitte Harrer. Können wir uns in Zukunft vertragen? Den Krieg beilegen? Ich bitte um Frieden.“
Stephan sah sein Gegenüber an. Kowak hatte sich gerade zutiefst gedemütigt. Es musste ihm sehr ernst mit der Angelegenheit sein, wenn er das über sich brachte.
„Okay“, sagte er. „Ich wollte den Krieg sowieso nie. Begraben wir das Kriegsbeil.“ Er reichte Kowak die Hand. Kowak schlug ein.
„Danke“, sagte er. „Ich danke dir, Harrer.“ Er schaute sich Stephans Grundstück an und grinste schief: „Bisschen klein, was? Ich schätze, ich kann das ändern. Ich rede mit dem alten Sauter.“ Er zeigte auf das brachliegende Nachbargrundstück: „Kriegst du, und oben das Stück auch. Die ganzen zweieinhalb Hektar. Und wenn du willst noch mehr dazu. Der Sauter weiß genau, dass sein Sohn das Land verkauft, sobald er den Hof übernimmt. Das Land taugt nicht zur Landwirtschaft im großen Stil. Hier kannst du nicht mit großen Landmaschinen arbeiten. Das ist höchstens was für einen wie dich, der sein Getreide von Hand aussät und erntet. Aber der Alte rückt nicht gerne was raus. Ich rede mit ihm. Er wird dir einen guten Preis machen, Harrer. Einen sehr guten Preis.
Peter hat mit mir gesprochen, Chayennes Vater, und von eurem gemeinsamen Plan erzählt. Eine Feldbahn von Rhensach über Runsach bis Achen und vielleicht sogar weiter bis zum Semmersee. Eine Bahn für die Schulkinder, zum Holz einfahren und vielleicht für Touristen.“
Kowak nickte: „Ich werde sehen, was ich tun kann, Harrer. Für eine solche Bahn braucht´s nicht viel Land; nur ein langes dünnes Stück, das überall durchführt. Könnte man sogar gleich einen neuen Feldweg mit anlegen. Gut für die Landwirte und gut für die Touristen. Um Touristen geht es hier nämlich. Einige wollen in die Touristikbranche einsteigen. Höfe wollen Urlaub auf dem Bauernhof anbieten; Familien anlocken und Wanderer. So eine kleine Bimmelbahn wäre nicht schlecht. Wenn sie gar bis zum Semmersee gehen würde, nicht übel.
Bei den Grundstücken lässt dich gewiss was machen. Das nötige Land gehört teilweise den Gemeinden. Ich war jahrelang Bürgermeister von Runsach. Ich habe da gewisse Verbindungen. Die kann ich ja mal spielen lassen.“
Kowak reichte Stephan die Hand: „Dann Auf Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen“, antwortete Stephan. Er begleitete Siegfried zur Gartenpforte und entließ ihn. Er blieb am Zaun stehen und schaute Kowak hinterher, wie er die Straße hinunter ging. Der alte Kerl war noch rüstig. Der lief zu Fuß nach Runsach zurück.
Stephan kraulte den Leutnant: „Ist das zu glauben, Alter? Kommt der Ober-Kowake her und schließt Frieden. Na mir soll es recht sein und wenn ich tatsächlich das Sauterland bekomme, soll es mir sogar noch rechter sein.“
Er atmete tief durch. Frieden. Ja. Das war gut. Sehr gut sogar. Endlich Frieden.

05.04.2015 15:24 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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