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Stefan Steinmetz
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Dabei seit: 10.02.2006
Beiträge: 1738

Der Auszug aus Heimstadt(2) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

3.

Derk, Timo und Sanja waren so in ihre hitzige Diskussion vertieft, daß sie nicht bemerkten, daß Priester Fohler hinter sie getreten war.
Fohler war ein streng blickender Mann von sechsundzwanzig Jahren. Wachsame, eisgraue Augen brannten in seinem schmalen, asketischen Gesicht. Er war aufgeschossen und hager, weshalb ihn die Schulkinder hinter seinem Rücken manchmal verstohlen DIE VOGELSCHEUCHE nannten. Offen wagte ihm niemand entgegen zu treten, dazu hatten die Kinder zu viel Respekt vor dem Lehrpriester; Respekt und auch eine gehörige Portion Angst.
Verwundert über die plötzliche Grabesstille in der Klasse sahen die drei Freunde auf.
"Was redet ihr drei denn da für ein ungereimtes Zeug?" fragte der Priester streng. „Wollt ihr etwa das Wissen der Heimkirche in Frage stellen?" Sein Gesicht glühte vor Zorn, seine Augen blitzten böse. Die Klasse hielt den Atem an. Angst lag in der Luft. Eine schreckliche Strafe würde die drei Sünder treffen; das war absolut sicher.
Timo, Sanja und Derk erschraken furchtbar.
Jetzt war es aus!
Was sie gesagt hatten, war in den Augen der Heimkirche Gotteslästerung! In ihrem Eifer hatten sie sich so sehr in die Diskussion hineingesteigert, daß ihnen Dinge über die Lippen gekommen waren, die man öffentlich nicht sagen durfte.
"Gütiger Himmel! Wir sind verloren!" dachte Derk entsetzt. Ihm wurde ganz flau im Magen. Er dachte an die Leute, die manchmal im Inkomp verschwanden und nie mehr auftauchten. Abgeholt von der politischen Wacht der Kirche; Polits genannt. Diese Polits, eine Truppe bewaffneter Schwarzuniformierter, sorgte dafür, daß die Anweisungen der Heimkirche stets befolgt wurden, auch wenn mal jemand nicht so recht begeistert davon war. Jeder war froh, wenn er nichts mit den Polits zu tun hatte.
Plötzlich hörte Derk, wie Sanja sagte: "Zumindest setzt die Heimkirche selbst ein paar Zweifel in die Welt!" Derk blieb die Spucke weg.
Sanja wußte selbst nicht, woher sie den Mut genommen hatte, dies auszusprechen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals vor Angst. Fohler würde sie in der Luft zerreißen. Er würde ihr die Haut abziehen. Doch zu ihrer grenzenlosen Verblüffung reagierte der Lehrpriester ganz anders.
Er setzte sich auf Sanjas Bank und faltete die Hände vor der Brust.
"Und das wäre bitteschön?" fragte er kameradschaftlich.
Sanja starrte den Priester mit aufgerissenen Augen an. Sie hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht.
"Es geht um die Hölle", sagte sie leise.
"Um die Hölle?" Fohler zog die Augenbrauen in die Höhe.
"Ja um die Hölle!" antwortete Sanja, kecker geworden. Die Klasse murmelte unruhig. "Erkären Sie mir eines Herr Lehrpriester: Sie behaupten doch, die Hölle sei heiß?"
Fohler blickte sie lange an und sagte schließlich: "Die Hölle ist nicht nur heiß! Sie ist außerdem tödlich! Dort hausen grausige, monströse Dämonen in einem öden, verwüsteten Land. Die Hölle ist das Grauenhafteste, was es gibt! Selbst die Luft dort ist giftig. Man kann sich kaum vorstellen, wie schrecklich es dort ist. Die Hölle ist das düstere Reich des Satans!"
"Aber in erster Linie ist die Hölle heiß, nicht wahr?" fragte Sanja.
"Das ist vollkommen richtig meine Tochter", antwortete der Priester ruhig. "Sie ist heiß. Furchtbar heiß." "Und sie liegt oben über Sektor l?"
„Ja.“
Sanja sammelte all ihren Mut. Sie holte tief Luft und sprach: "Nun ... dann erklären Sie mir eines Herr Lehrpriester: Wenn es in der Hölle also knapp über Sektor 1 so heiß ist, wieso muß man die obersten Sektoren die meiste Zeit des Jahres HEIZEN?"
Bevor Fohler etwas antworten konnte, fiel Derk ihm ins Wort. Wenn seine Freundin den Mut bewies, dem Lehrpriester die Stirn zu bieten, wollte er nicht feige erscheinen und dahinter zurückstehen.
"Jawohl HEIZEN!" rief er. "Und wieso ist es in Sektor 15, der gerade gebohrt wird so heiß? Sogar im Radio reden sie dauernd davon, wie heiß es da unten ist! Wieso muß man die unteren Sektoren KÜHLEN und das in immer stärkerem Maße, je tiefer man geht? Wo diese Sektoren doch unten liegen, ganz weit weg von der Hölle!"
Einen Moment lang schnappte der Priester nach Luft. Es sah aus, als würde er gleich explodieren. Doch Fohler fing sich wieder. Er setzte sein MEINE LIEBEN UNWISSENDEN KINDERLEIN-Lächeln auf.
"Meine lieben Kinder, das kommt durch die Erdwärme", erklärte er glatt. "Je tiefer man in die Erde eindringt, desto wärmer wird es. Der Gesteinsdruck und die Tiefenwärme versteht ihr?" Er drehte sich verständnisheischend zur Klasse um und erntete zustimmendes Kopfnicken. Ein paar Schüler kicherten leise. Das wußte doch jeder!
Þas hat uns die Heimkirche erklärt, aber stimmt es auch?" fragte Derk. Jetzt, wo sie so weit gegangen waren, gab es für ihn kein Zurück mehr. "Wieso ist die Hitze im Erdinnern nicht schlimm und die Hitze oben ist tödlich? Da stimmt doch irgendetwas nicht!"
Priester Fohler sah die drei Freunde eine Weile nachdenklich an .
"Passt auf", sagte er schließlich. "Heute Nachmittag kommt ihr zu mir in den Inkomp, einverstanden? Ich werde dem Wachpolit am Eingangstor Bescheid sagen, damit er euch passieren lässt. Ich werde euch etwas zeigen, das euch beweisen wird, daß die Hölle tödlich ist."
Derk sperrte den Mund auf. Sie durften in den Inkomp! In die heilige Tabuzone von Heimstadt, die normalerweise nur von der Gilde und der Priesterschaft mit ihren Polits betreten werden durfte! Das war eine Sensation, die ihn alles andere vergessen ließ. Seinen beiden Freunden erging es nicht anders.
"Sie laden uns wirklich in den Inkomp ein?" fragte Timo ung1äubig .
"Ja mein Sohn", antwortete Fohler und lächelte gutherzig. "Ich glaube, ihr habt euch da in etwas verrannt; irrige, revolutionäre Ideen, wie man sie von der Jugend gewohnt ist. So war die Jugend schon immer. Aber ich kann nicht verantworten, daß diese Ideen euer Seelenheil gefährden, denn ich bin für euch verantwortlich. Kommt bitte pünktlich um vierzehn Uhr zum Hauptportal vom Inkomp. Der Wachpolit am Eingang wird euch zu mir bringen.“

Nach dem Unterricht unterhielt sich das unzertrennliche Kleeblatt aufgeregt über den Vorfall.
"Mensch, ich kanns immer noch nicht fassen, daß wir in den Inkomp dürfen. Wahnsinn!" freute sich Derk. "Das habe ich mir schon immer gewünscht."
"Wie kommt Vogelscheuche Fohler bloß dazu?" fragte Timo. "Ich dachte: Jetzt ist es aus, als Sanja mit der Hölle anfing. Mann, hatte ich eine Angst!"
"Ich glaube, er denkt, daß wir zu einer ernsten Gefahr für das Seelenheil der anderen Schüler werden könnten", entgegnete Sanja. "Wahrscheinlich will er uns mit irgendwelchem heiligen Gesülze auf den rechten Weg zurückbringen. Aber das ist mir vollkommen egal! Hauptsache ist, wir kriegen den Inkomp von innen zu sehen!"
Die beiden anderen stimmten ihr zu. Für den versprochenen Besuch im Industriekomplex hatte es sich zwar nicht gelohnt, eine harte Bestrafung zu riskieren, aber wenn sich schon einmal die Gelegenheit bot: Warum nicht! Neidisch blickten die restlichen Schüler der Klasse den dreien nach.




4.


DAS TAGEBUCH DES DIETER M„LER:
06. APRIL 1996:

Irgendetwas stimmt nicht! Diesmal ist alles anders als sonst. Nicht der normale, relativ lasch gehandhabte Dienst. Ich muß ständig die Maschinen überwachen. Anweisung von oben. Und die Wissenschaftler sind auch anders als sonst. Sie sehen besorgt, manche sogar richtig erschreckt aus. Was ist nur los?


5.

DAS TAGEBUCH DES DIETER M„LER:
09. APRIL 1996:

JETZT IST ALLES KLAR!
Es gibt kein Zurück mehr!
Wir sind in diesem Bunker für immer eingeschlossen!
Diese Idioten haben doch tatsächlich den 3.Weltkrieg angefangen und alles Leben auf der Erde mit Atomwaffen ausgelöscht. Vor drei Stunden kriegten wir die Mitteilung über das Lautsprechersystem des Bunkers
Die Erde ist tot! Draußen ist die Strahlung so hoch, daß ein Zwanzigstel davon einen Menschen innerhalb einer Minute töten würde! Ich kann es noch garnicht fassen. Mit einem Schlag ist alles ausgelöscht! Warum haben sie es nur getan? Sie wußten doch, daß dieser Krieg alles auf der Welt vernichten würde!
Man weiß nicht einmal genau, wer angefangen hat. Einige sagen, die Russen, weil die Militärs dort wieder die Herrschaft übernommen haben.
Andere geben den Amis die Schuld, wieder andere meinen, die Araber hätten verrückt gespielt. Vielleicht waren es auch die Brasilianer, die schon seit über fünfzehn Jahren Atomwaffen haben. Kann sein, daß sie nicht länger hinnehmen wollten, daß die Industrienationen alles und die dritte Welt nichts hatte.
Jetzt haben alle nichts! Wie konnten sie nur! Jeder wußte, daß ein nuklearer Krieg das Ende bedeuten würde.
Ich werde den Gedanken nicht los, daß eine Menge Leute das einkalkuliert hat. So langsam verstehe ich, warum es den Sektor gibt. Ein paar findige Wissenschaftler wollten eine Handvoll Menschen retten.
Im Lautsprecher sagten sie, der Bunker sei ungefährdet und völlig autark. Wir können unendlich viele Jahre hier unten bleiben und vielleicht eines Tages in ferner, ferner Zukunft ...
Aber das interessiert MICH überhaupt nicht! Ich fühle mich eingesperrt!
Drei Monate lang werden wir total von der Außenwelt abgeschnitten sein, weil die Strahlung so ungeheuer hoch ist. Danach wollen die Wissenschaftler ein kleines unbemanntes Flugzeug eine sogenannte DROHNE rausschicken, um Messungen vorzunehmen und Filmaufnahmen zu machen. Was zum Teufel wollen die eigentlich noch filmen?



6.

Kurz vor vierzehn Uhr kam Derk zu Sanja nach Hause und von dort aus holten sie Timo ab. Timo wohnte am Außenrand des kleinen Wohndorfs, dessen rund siebzig meist doppelstöckigen Häuschen in lockerem Verbund um den Inkomp standen. Gemeinsam liefen sie durch die engen Fußpfade zwischen den Gärten, die die Häuser umgaben. Die Pflanzen in den Gärten wuchsen üppig. Es gab vor allem Nutzpflanzen wie Erbsen, Bohnen, Mohrrüben, Kohl, Salat, Johannisbeeren, Heidelbeeren und ähnliches.
Auf kleinen Terassenhügeln bauten die Bewohner von Sektor 7 Gewürzkräuter an.
Bald gelangten die drei Freunde auf die Hauptstraße, die in zweihundert Metern Abstand vom Inkomp ringförmig um diesen herumlief. Von hier aus zweigten wieder verschieden breite Wege zu den Häusern ab. Von oben betrachtet lag das Wohndorf in einem lockeren Kreis um den Inkomp.
Nach vier Richtungen führten breite mit Steinplatten belegte Hauptwege zu den 2,5 KM entfernt liegenden Wänden von Sektor 7, von denen wiederum Wege in die Felder abzweigten. Diese Nebenwege umgaben den Industriekomplex in immer weiter werdenden Kreisen.
Die aus braun rotem Abraumgestein gemauerten Bewässerungskanäle verliefen neben den schmalen Straßen. Sie brachten das aufbereitete Wasser, das aus dem Inkomp kam, zu den Feldern und Weiden. Stellenweise speisten die Kanäle große Fisch und Wasserpflanzenteiche. Diese lagen draußen am äußeren Rand des Wohndorfes.
Derk überlegte, daß die ersten Teiche bald IM Dorf liegen würden, denn ständig wurden neue Häuser gebaut; Häuser für die anwachsende Bevölkerung von Sektor 7.
"Früher einmal", so erzählten manchmal die Alten, "da endete das Wohndorf bei der großen Ringstraße, die heute Hauptstraße genannt wird. Aber sehr viele Kinder wurden seitdem geboren; so viele, daß immer neue Häuser gebaut werden mußten. Früher standen nicht mehr als dreißig oder höchstens vierzig Häuser in Sektor 7. Und die Pumpenhäuschen natürlich."
Das stimmte, fand Derk, denn die Häuser im inneren Kreis des Wohndorfes sahen entschieden älter aus als die äußeren. Sie besaßen auch größere Gärten.
"Seit vor etwa dreihundert Jahren die Geburtenkontrolle abgeschafft wurde, vermehrt sich die Bevölkerung Heimstadts zu schnell", dachte Derk. "Und das Tempo des Bevölkerungszuwachses nimmt rapide zu. Bei der jetzigen Lage kann man davon ausgehen, daß sich die Bewohnerschaft Heimstadts pro Generation verdreifacht. Das ist sehr bedenklich! Wenn es so weitergeht, werden die Häuser bald bis an den Sektorrand stehen."
Nein! Es würde anders sein. Statt schmucker, kleiner doppelstöckiger Häuschen würden breite, vielstöckige Wohnblocks entstehen wie in den tiefer liegenden Sektoren.
In der Heimschule lernte Derk, daß man die höheren Temperaturen in den Tiefsektoren dazu nutzte, tropische Getreidesorten und Pflanzen anzubauen, die eine höhere Ausbeute erbrachten als die üblichen Getreidesorten. Daher lebten in diesen Sektoren auch mehr Menschen.
So kam zum Beispiel der Reis, den Derk und seine Geschwister so gerne aßen, aus Sektor 13, wo ständig Temperaturen um 30 Grad herrschten. Von Sektor 9 aufwärts betrug die Temperatur 24 Grad.
"Wisst ihr Kinder!“, erklärte Lehrpriester Fohler diesen Umstand, "24 Grad ist die beste Temperatur für Wachsen und Gedeihen der Pflanzen, aber manche Pflanzen und auch Tiere lieben es wärmer Also befand man, daß es gut sei, in den Tiefsektoren Energie zur Kühlung zu sparen und dort Tiere und Pflanzen zu züchten, die höhere Temperaturen lieben.
Früher gab es auch in Sektor 7 Reis, aber er gedieh nur in aufwendigen, beheizten Gewächshäusern, die dort standen, wo sich heute die neueren Häuser des Wohndorfes befinden: Außerhalb der Hauptstraße.
In den Tiefsektoren lassen sich Reis und viele andere Pflanzen wie zum Beispiel Ananas, Avokados, Kokosnüsse, Maniok und Bananen viel leichter kultivieren als im Gewächshaus. Das ist auch wesentlich ertragreicher. Daher leben dort unten auch mehr Menschen als bei uns in Sektor7. Alle vierzehn Sektoren Heimstadts tauschen untereinander ihre Produkte aus. Unser Sektor ist für seinen ertragreichen Weizen berühmt."
Timo schüttelte den Kopf.
"Ich kanns immer noch nicht recht glauben, daß wir in den Inkomp dürfen", sagte er. "Fohler ist anständiger, als ich dachte."
"Ich hätte mir das auch nicht träumen lassen", meinte Sanja zustimmend. "Aber pass auf, er wird versuchen uns auf den rechten Weg zurück zu führen. Deshalb schmiert er uns Honig um den Mund."
Pünktlich um 14 Uhr standen die drei Freunde vorm Haupteingang des Industriekomplexes. Sie nannten dem Polit, der am Eingang Wache hielt, ihre Namen und sagten, daß Lehrpriester Fohler sie eingeladen hatte.
"Ich weiß Bescheid", sagte der Polit freundlich. "Einen Moment bitte." Er sprach in sein Funkgerät.
Kurz danach erschien Lehrpriester Fohler.
"Da seid ihr ja meine Lieben", rief er. "Kommt mit." Sie folgten ihm in den Inkomp.
Dieser erwies sich im Inneren als ziemlich enttäuschend, denn außer metallisch sterilen Gängen, die elektrisch beleuchtet waren, gab es nicht viel zu sehen. Von dem Gang, durch den sie liefen, gingen rechts un links eine Menge Türen ab, die unterschiedliche Nummern und Buchstabenkombinationen trugen, die sie nicht verstanden. Hie und da hing ein Lautsprecher an der Wand. Derk fand es fade. Er hätte gerne hinter die Türen geschaut, aber ihr Führer lief an allen vorbei.
Doch dann hielt Fohler vor einer zweiflügeligen Stahltür mit der Aufschrift K L I M A A N L A G E. Lautes Rauschen drang bis auf den Gang heraus.
"Ich dachte mir, daß ihr vielleicht gerne mal einen kleinen Blick auf die Maschinen werfen würdet", sagte Fohler leicht hin. Er lächelte, als er das freudige Glänzen in den Augen der drei Jugendliche bemerkte. Mit seinem Inkompschlüssel, einer codierten Plastikkarte, öffnete er die Türen. Sofort wurde das Rauschen lauter. Ein schmaler Gang öffnete sich hinter den Stahltüren.
"Hier entlang", sagte Fohler und führte sie zu einer Scheibe aus Panzerglas, die in die Wand eingelassen war. Mit offenen Mündern bestaunten Derk, Timo und Sanja das Szenario.
Die Panzerglasscheibe gab den Blick auf eine kleine Halle frei, in der eine riesige Maschine stand. Es war ein kantiger, verwinkelter Block von über zehn Metern Höhe. Länge und Breite waren schlecht abzuschätzen, da man nicht genau erkennen konnte, wo die Klimamaschine aufhörte und die unzähligen Zusatzaggregate anfingen. Die vorherrschende Farbe in der Halle war helles Blau. Die dicken gepanzerten Rohrleitungen, die die die Maschine hinein und herausführten waren rot, gelb und violett gestrichen. Fasziniert lauschten sie dem tiefen Rauschen der großen Ventilatoren.
"Durch die gelben Rohre kommt die heiße, giftige Luft der Hölle herein", erklärte Fohler. "Sie wird in den Vorfiltern und Luftwäschern vorgereinigt. Seht ihr dort oben die zylindrischen Dinger? Das ist die Vorreinigungsanlage. Von dort aus wird die Luft in den violetten Rohren zur Luftwaschanlage geleitet. Das ist der große Block. Ein Abscheider beseitigt das verseuchte Wasser nach der Wäsche. Dann gelangt die gereinigte Luft in den Turbokühler, wo sie auf die nötige Temperatur heruntergekühlt wird. Die Temperatur hängt von der Außentemperatur im Sektor ab. Eine Anzahl von elektronischen Sensoren misst ständig Veränderungen der Temperatur aber auch von Luftdruck und Luftfeuchtigkeit. Der Klimacomputer der Anlage regelt dann selbsttätig alles nach, so daß im Sektor stets die gleichen Verhältnisse herrschen. Seht nur, dort kommt gerade ein Wartungsmechaniker."
Eine kleine Gestalt kam hinter der hausgroßen Maschine hervor. Sie trug einen hellblauen Anzug, der sie gänzlich bedeckte. Sogar das Gesicht war hinter einer Maske versteckt.
"Ist das Gummi?" fragte Derk interressiert.
"Etwas Ähnliches", antwortete Fohler. "Es ist atmungsaktiv. Schweiß und Körperwärme können nach außen entweichen. Aber die verseuchte Luft der Hölle kann in diese Schutzanzüge nicht eindringen."
Sanja schauderte: "Gab es schon einmal Unfälle?"
"Nein mein Kind, dazu sind unsere Sicherheitsvorkehrungen zu hoch. Dort drinnen ist keine Luft aus der Hölle. Aber aus Sicherheitsgründen ist die Halle luftdicht konstruiert und kann im Notfall total versiegelt werden, so daß keine verseuchte Luft in die Sektoren gelangen kann. Die Arbeiter tragen diese Anzüge zu ihrem eigenen Schutz für den Fall, daß ein Unfall geschieht. Es könnte etwa ein Rohr brechen und die giftige Luft aus der Hölle einlassen.
Außerdem werden von Zeit zu Zeit Wartungsarbeiten an den Maschinen druchgeführt. Dann öffnen die Gildenleute die Klimaanlagen und steigen in die Aggregate ein. Sie schmieren die Lager der Ventilatoren und reinigen die Düsen und Abscheiderlamellen der Luftwaschanlage. Dann kommen sie direkt mit der heißen, zerstörerischen Luft aus der Hölle in Berührung. Ohne Schutzanzüge würden sie das keine fünf Minuten überleben."
Derk schauderte. Es war eine Sache, im gemütlichen Sektor draußen die Hölle und ihre bestehenden oder nicht bestehenden Gefahren zu diskutieren und eine andere Sache hier zu stehen und einem Mann in einem schweren Schutzanzug bei der Arbeit zuzusehen und dabei zu wissen, daß alles, was einen von der Hölle trennte eine zehn Zentimeter dicke Panzerglasscheibe war.
Trotzdem war er ungeheuer fasziniert. Er lauschte dem Rauschen und Heulen der Atmosphärewandler und dachte in einem fort: "Hier will ich einmal arbeiten! Hier will ich eines Tages arbeiten!"
Tragen die Männer, die die Generatoren warten, auch solche Schutzanzüge?" wollte Timo wissen.
"Ja mein Sohn", antwortete Fohler. "Aber die Generatorenwärter kommen fast nie in solch direkten Kontakt mit der Hölle. Die Turbinen im Turbinenschacht sind gekapselt. Dort kann kein verseuchtes Wasser oder verseuchte Luft in die Generatorenhallen eindringen. Nur wenn die Männer an den Turbinenblättern arbeiten, etwa wenn ein Blatt ausgewechselt werden muß, tragen sie die gleichen Schutzanzüge in hellblau ansonsten benutzen die Generatorenmechaniker orangefarbene Schutzanzüge ohne Maske. Gegen eine winzige Menge Höllenwasser, das vielleicht einmal in ihren Arbeitsbereich eindringen könnte, reichen diese
Anzüge. Die dazu gehörenden Masken tragen die Gildenmänner in einer Gummitasche bei sich, um sie dann in einem solchen Fall aufzusetzen. Aber bisher ist noch nie ein solches Unglück geschehen."
Fohler ließ die drei Freunde sich sattsehen. Dann winkte er sie in den Gang zurück.
Draußen schaute er Derk lächelnd an: "Nun hast du es gesehen mein Sohn. Eines Tages wirst du vielleicht hinter diesen Türen arbeiten."
"Das ist mein größter Wunsch seit ich denken kann", erwiderte Derk mit leuchtenden Augen.
"Dies war eine der vier Maschinen, die Sektor 7 mit Frischluft versorgen", erklärte der Priester. "Jeder Sektor hat vier solcher Geräte. Zwei davon sind ständig in Betrieb, die anderen beiden stehen für den Fall bereit, daß eine der laufenden Maschinen ausfällt. Jeden Monat wechseln wir von einem Paar auf das andere, damit eine gleichmäßige Abnutzung gegeben ist. An den stillgelegten Aggregaten können die Wartungsleute dann in aller Ruhe arbeiten."
"Ob wir jetzt die Generatoren ansehen gehen?" fragte sich Derk in Gedanken.
Als hätte Fohler seine Frage gehört, sprach er: "Ich habe nicht so viel Zeit heute. Daher kann ich euch die Generatoren nicht zeigen. Vielleicht ein anderes Mal. Aber ich habe noch etwa ganz anderes, was ich euch zeigen will. Kommt!"
Neugierig folgten sie dem Priester. Fohler führte sie zu einem kleinen Vorführraum mit einem großen Fernsehbildschirm.
Er bat sie, Platz zu nehmen, und legte ein Videoband in das Abspielgerät ein. Dann setzte er sich zu ihnen in die gepolsterten Sessel.
"Das hier ist ein Film von der Hölle", sagte er ernst.
Derk fuhr hoch: "Sie haben Filme von OBEN?" Er war baff.
"Oh ja", entgegnete der Heimpriester. "Unter ungeheuren Sicherheitsvorkehrungen haben wir eine kleine, mechanische Flugapparatur in die Hölle aufsteigen lassen. Dieser Flugapparat trug eine automatische Kamera und filmte die Hölle aus der Luft. Die Bilder sandte er über Funk an einen Empfänger in Heimstadt, bis die Hölle ihn zerstörte. Wir erhielten einen Film von vielen Minuten, ehe die Apparatur in der Hölle zugrunde ging. Ich möchte euch jetzt zeigen, wie es dort aussieht." Er schaltete das Abspielgerät per Fernbedienung ein. Flimmernd erwachte der Bildschirm zum Leben.
Gebannt starrten Derk, Timo und Sanja nach vorn. Der Fernseher präsentierte die Luftaufnahme einer unvorstellbar großen Welt. Keine Sektorwände begrenzten den Blick in die Ferne. Statt einer Sektordecke gab es eine milchige Weiße, in der ein einziges helles Licht glühte.
Der Bildwinkel schwenkte und zeigte eine Hügelformation. Tief unten lag ein kleines, funkelndes Oval inmitten von eintönigem Grau.
"Das ist der Stausee, dessen Wasser unsere Generatoren antreibt", erklärte Fohler. "Das Flugzeug fliegt sehr hoch, daher sieht er so winzig aus. In Wahrheit ist er drei Kilometer lang und einen Kilometer breit. Doch nun gebt acht! Der Flugapparat geht jetzt tiefer."
Entsetzt schauten Derk, Timo und Sanja auf den Bildschirm.
Bilder einer toten Welt zogen über die Mattscheibe! Kein Lebenszeichen rührte sich auf der Erde, deren Oberfläche glasige und geborsten war. Glänzende schwarze Schlacken und verbranntes Gestein bedeckten den Boden. In die rechte Ecke des Bildschirms wurden Daten eingeblendet, die Werte anzeigten, die den drei Freunden unverständlich erschienen: Bequerel, Rad, Kelvin ... Alle Werte waren sehr hoch.
Sanja stieß ein heiseres Wimmern aus. Ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Ihre Knöchel traten weiß hervor. Timo und Derk bissen sich auf die Lippen.
"Oh Gott!" stöhnte Sanja. ie entsetzlich. Alles tot!"
"Ja", sagte Fohler dumpf. "Alles tot! DAS ist die Hölle! Früher einmal vor vielen, vielen Jahren war diese große Welt genauso schön und lebendig wie die Sektoren von Heimstadt. Doch die Menschen waren ungläubig und verspotteten Gott. Und Gott strafte sie! Alles wurde vernichtet. Auf alle Zeit."
"Gab es viele Menschen dort?" fragte Sanja mit belegter Stimme.
Fohler legte ihr seine Hand auf die Schulter. "Ja es gab Menschen. Viel mehr Menschen als heute in Heimstadt leben. Es waren keine Tausende; es waren Milliarden. Beim großen Weltbrand kamen sie alle ums Leben. Jetzt regiert der Satan mit seinen Dämonen in dieser toten, heißen Welt, deren Atmosphäre bin giftiges Gasgemisch ist!"
Fohler schaltete das Abspielgerät ab und schaute die drei eindringlich an: "Glaubt ihr mir jetzt, daß dort oben die Hölle ist?"
Die drei Freunde nickten mit versteinerten Gesichtern. Eine unendliche Traurigkeit hatte von ihnen Besitz ergriffen.
"Es ist also wahr!" stieß Derk hervor. "Alles dort oben ist tot!"
"Ja Derk", antwortete der Priester ruhig. "Alles tot! Lasst uns nun gehen."
Betäubt vom soeben Gesehenen ließen sie sich zum Ausgang des Inkomp geleiten. Mit hängenden Köpfen gingen sie nach Hause.
"Die Heimkirche hatte also Recht", sagte Timo niedergeschlagen es war furchtbar, was wir gesehen haben!" Die anderen stimmten ihm zu.
Abends nach dem Duschen griff sich Sanja die Heimbibel aus dem Regal. Sie machte es sich auf dem flauschigen Wollteppich in ihrem Zimmer bequem und las im Buch der Heimkirche.

Die Heilige Kirche beschützt die Gläubigen im Heimstadt.
Als der große Weltbrand ausbrach, da errettete Gott in seiner unendlichen Güte diejenigen, die da waren ohne jede Sünde und er gab ihnen eine neue Heimat unter der verbrannten Erde, dass sie weiterleben können, denn sie waren gut.

Diese und ähnliche Dinge standen in dem dicken Buch. Alles was Sanja früher irgendwie falsch und verknöchert erschienen war, bekam nach dem Ansehen des schrecklichen Films am Nachmittag einen neuen Sinn.
Weil niemand nach oben gehen konnte, mußten halt neue Sektoren erbaut werden. Vielleicht hatte es nie eine Geburtenkontrolle gegeben; vielleicht hatten sich die Bewohner Heimstadt früher nur nicht so schnell vermehrt. Noch immer fragte sich Sanja, wie lange die Bauingenieure weiter in die Tiefe der Erde vordringen wollten, aber sie war nun bereit, diese Entscheidungen den Priestern der Heimkirche zu überlassen.

01.04.2013 17:13 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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