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Geschrieben von Stefan Steinmetz am 16.03.2015 um 19:54:

Der Elfenmacher(36)

Sie saßen bei Stephan und Monica hinterm Haus. Der Bienerich saß mit am Tisch und schlürfte ein kühles Guinness. Matthias und Astrid waren mit ihren Töchtern Selma und Nadja gekommen und natürlich waren die Kolbes da. Polly freute sich, Selma wiederzusehen.
„Habt ihr inzwischen ein Haus gefunden?“ wollte sie wissen.
Selma schüttelte den Kopf. Sie streichelte den Leutnant und umarmte ihn: „Wir finden nichts. Es kostet entweder zu viel Geld oder es liegt zu weit weg. Mama und Papa wollen nicht weit weg ziehen.“ Sie reichte den Spitz an ihre kleine Schwester zum Knuddeln weiter. „Dürfen wir mit der Eisenbahn fahren?“
„Ich opfere mich.“ Eugen Niedermeyer stand auf: „Stephan, mein Bester, gibst du mir bitte den Schlüssel für die Lokomotive?“ Der Bienerich holte die Akkulok aus dem provisorischen Zeltschuppen, koppelte gekonnt zwei offene Waggons an und ließ die Kinder zusammen mit dem Spitz einsteigen. Dann drehte er ein paar Runden mit der munteren Schar.
Sandra stieß Stephan in die Seite: „Er scheint drüber weg zu sein.“
„Wer?“ Stephan sah zu Eugen auf der Lok. „Ach der. Na hoffentlich.“
„Du hast es echt nicht geschnallt?“ Sandra grinste sich einen. „All die Wochen? Dieser Hundeblick!“
„Ich habe neue Prospekte für das geplante Häuschen neben dem Backhaus“, lenkte Stephan ab. Er holte die Heftchen aus einer Stofftasche, die an seinem Stuhl baumelte und verteilte sie auf dem Tisch: „Schaut euch das mal bitte an. Moni und mich täte interessieren, was euch so gefällt.“
„Ihr werdet ja in Zukunft ab und zu mal in diesem Häuschen sitzen und drauf warten, dass eure Brote gebacken werden“, sagte Monica. Sie probierte von Eugen Niedermeyers Meeresfrüchtesalat. „Eugen?“ rief sie dem Lokomotivführer zu: „Ein Gedicht!“
„Besten Dank, liebwerte Dame“, rief der Bienerich und betätigte die Hupe. „Aber Kolbes berühmter Pollysandrasalat ist besser.“
Sie saßen in gemütlicher Runde beisammen. Stephan betrachtete sein kleines Reich. Allmählich nahm der Garten Formen an. Die Stelle, an die der Backofen kam, hatte er schon fertig. Alles war ausgeschachtet und ins Lot gebracht. Der Bausatz für den Backofen war angekommen und eine Firma aus Achen hatte vier Paletten Ziegelsteine geliefert. Die Mauern des Häuschens waren bereits einen Meter hoch. Georg hatte ihm versprochen, beim Dach zu helfen.
Wie schön es hier ist, dachte Stephan. Viel schöner als im doofen Brunzach. Wenn ich nur mehr Gelände zur Verfügung hätte.
Vorm Haus rief eine helle Stimme: „Polly? Bist du hier?“
Bellend sprang der Leutnant aus dem Waggon. Er sauste ums Haus herum. Eugen Niedermeyer hielt den Zug an. Polly und Selma stiegen aus. Sie folgten dem Hund. Eugen hob die kleine Nadja aus dem Wagen: „Lassen die dich einfach im Stich, armes Ding.“ Er stellte die Kleine auf die Füße.
Selma und Polly kamen mit Chayenne Kowak um die Ecke. Chayenne grüßte die Erwachsenen artig.
„Ich wollte Polly bloß etwas bringen“, sagte sie. „Als Revanche für den Wasserkefir.“ Sie hielt eine Stofftasche hoch. Damit kann man prima Gras auf der Wiese sammeln gehen, um Sir Henry zu füttern.“
„Sir Henry, das Mager- und Mergelmodell“, lästerte ihr Vater. „Sir Twiggy.“
„Du bist unruhig“, sagte seine Frau. „Du bist viel zu verkrampft. Die Tasche ist aber schön.“ Sie schaute Chayenne an: „Hast du die selbst gemacht?“
Das Mädchen nickte: „Aus einem alten Leintuch von meiner Oma. Ich habe sie an der ollen PFAFF genäht. Ich habe absichtlich farbiges Nähgarn benutzt. Das sieht schön aus auf dem hellen Leinenstoff.“ Die Nähte an der Tasche und an der Umhängeschlaufe waren in dunklem Rot gehalten. Vorne hatte Chayenne in grünem Garn „SIR HENRY“ aufgestickt. Sie reichte Polly die Tasche: „Bitteschön, Polly.“
„Danke.“ Polly nahm die Tasche in Empfang. „Die ist super. Sonst habe ich immer eine Plastiktüte benutzt.“
„Weil du mir den Ableger von eurem Wasserkefir geschenkt hast“, sagte Chayenne. „Der funktioniert total klasse. Die ganze Familie liebt die selbstgemachte Limo. Und sie schmeckt meinem Opa gut. Er sagt, das sei richtig erfrischend, ohne zu süß zu sein. Ich soll dir einen schönen Gruß von ihm sagen.“
Nadja stand neben ihr und schaute zu ihr auf.
„Hallo du“, sagte Chayenne freundlich. Sie hob Nadja auf: „Wer bist denn du? Ich bin die Chayenne.“
„Nadja“, antwortete das kleine Mädchen. „Ich bin schon vier.“
„Au, da bist du ja schon ein richtig großes Mädchen“, sagte Chayenne. „Gell?“
„Ja“, rief Nadja.
Die Kinder zogen ab, um im Garten herum zu stromern. Die Erwachsenen kümmerten sich um den Grill.
„Es ist zum Verzweifeln“, sagte Astrid. „Wir finden einfach kein Haus. Langsam wird es eng. Wie es aussieht, müssen wir doch noch in eine Ersatzwohnung ziehen.“
„Habt ihr es mal in Runsach versucht“, fragte Eugen. „Dort ziehen einige Familie fort. Wegen der traurigen Geschichte mit den kleinen Mädchen.“ Er schaute schuldbewusst. „Nicht dass ihr denkt, ich will euch dort hin lotsen. Eure Selma ist gerade in dem bestimmten Alter. Aber es traf doch immer nur Mädchen der Kowak-Familie.“ Er schaute zu den spielenden Kindern hinüber: „Wie diese Chayenne.“
Sie schauten zu den Kindern. Chayenne hatte sich der kleinen Nadja angenommen und bemutterte sie freundlich. Das kleine Mädchen klebte an ihr wie eine Klette.
„Hast es ja nicht böse gemeint“, sagte Matthias. „Und ja: Wir haben uns in Runsach Häuser angesehen.“ Er machte ein abwehrende Geste. „Entweder zu teuer oder zu klein oder uralt und extrem sanierungsbedürftig. Es war nichts für uns dabei.“ Er stand auf und half Stephan beim Grillen.
„Es ist zum Mäusemelken“, klagte Astrid. „Letzte Woche fanden wir ein Haus, das gepasst hätte. Dann stellte sich raus, dass eine Schuldenlast drauf liegt. Nein danke! Anderer Leute Schulden bezahle ich nicht ab!“ Sie schaute zum Himmel: „Der liebe Herrgott weiß, ob wir es schaffen. Es wird knapp. Sehr knapp.“
„Essen ist fertig“, rief Matthias. „Kinder, kommt zu Tisch, sonst müsst ihr verhungern.“
Die Rasselbande kam angestürzt und verteilte sich auf den Stühlen rund um die beiden Gartentische. Matthias und Stephan verteilten grobe Bauernbratwürste und Putenschnitzel auf den Tellern. Sandra reichte die Salate. Dann futterte alles mit Genuss.
Chayenne hatte die kleine Nadja auf dem Schoß und fütterte sie mit Hingabe. „So ist´s fein“, lobte sie, als Nadja alles aufaß. „Dafür kriegst du auch was feines Süßes.“ Monica hatte ein Tablett mit kleinen Schüsselchen aus dem Haus gebracht. Es gab Schokoladenpudding als Nachtisch. Chayenne fütterte Nadja. Die ließ sich das gerne gefallen, obwohl sie eigentlich zu alt dafür war.
Nach dem Essen verzogen sich die Kinder. „Wir gehen Sir Henry besuchen“, verkündete Polly und lief mit der ganzen Schar los. Auch der Leutnant kam mit.
Die Erwachsenen sprachen über das Wetter. Nach einigen Regentagen war die Sonne zurückgekehrt – ein Bilderbuchsommer.
„Das ist mir recht“, meinte Stephan. „So komme ich mit meinem Backofenhäuschen ordentlich voran.“ Er wollte nach seinem Apfelweinglas greifen, als sie Polly schreien hörten.
Augenblicklich waren Georg und Stephan unterwegs. Der Rest folgte. Sie galoppierten als wilde Stampede ums Haus herum und über die Straße zu Kolbes Haus.
„Es kann nichts Böses sein“, keuchte Stephan überm Rennen. „Der Hund bellt nicht. Vielleicht ist sie hingefallen und hat sich wehgetan.“ Er musste sich gewaltig anstrengen, um mit seinem Hinkebein mit Georg Schritt zu halten.
Als sie um die Ecke von Kolbes Haus bogen, sahen sie eine aufgeregte Polly mit aufgerissenen Augen bei der Schweinerei stehen: „Jemand hat mein Meerschweinchen viergeteilt!“
„Was?“ fragte Stephan. Hatte einer dem Tier etwas angetan?
Dann standen sie alle schnaufend wie Kutschgäule bei der Schweinerei und sahen, warum Polly geschrien hatte. Mit Sir Henry hatte eine erstaunliche Verwandlung stattgefunden. Quietschvergnügt, im wahrsten Sinne des Wortes, hockte er im Gras. Er war mit einem Mal sagenhaft schlank. Drei niedliche Pelzbündel drängten sich leise quiekend an ihn.
Polly stand da, wie vom Donner gerührt: „Ich fasse es nicht! Sir Henry ist eine Frau! Eine Lady Henriette!“
„Ganz offensichtlich“, meinte Stephan. „Drei neue Schweinchen. Wer war das?“
„Ich schätze, Sir Arthur hat die schändliche Tat auf dem Gewissen“, sagte Georg. „Jetzt wissen wir, warum die zwei sich so gerne hatten. Die hatten was miteinander.“
„Hat Dunjas Mutter nicht erzählt, Sir Arthur wäre kastriert?“ fragte Sandra. Sie betrachtete den unverhofften Familienzuwachs mit gemischten Gefühlen.
„Hat sie“, sagte Georg. „Den Tierarzt verklagen wir auf mehrere Millionen Schadenersatz.“
Plötzlich lachten sie alle.
Polly streichelte Sir Henry, der sich in eine Lady Henriette verwandelt hatte: „Deswegen war er … ähm … sie so dick. Und ich mache mit der Armen eine strenge Diät.“ Sie traute sich nicht, das Meerschweinchen hochzuheben. Es hatte schließlich gerade drei Junge zur Welt gebracht.
„Sind die süß.“ Chayenne kniete neben dem kleinen Gehege im Gras. Sie zeigte Nadja die jungen Meerschweinchen: „Siehst du, die haben bereits ein Fell und ihre Augen sind offen. Sie können schon herumlaufen. Es sind Nestflüchter. Das haben wir in Bio gelernt.“
„Was fängst du mit den Schweinchen an?“ fragte Sandra.
„Ich habe ein peruanisches Kochbuch“, sagte Stephan. „Meerschweinchenrezepte aus den Anden.“
„Nein!“ gellte Polly. „Keiner rührt meine kleinen Wutzchen an!“
„Willst du sie etwa alle behalten?“ fragte ihr Vater.
Polly kratzte sich mit dem Finger an der Nase: „Eins behalte ich, damit Sir … Lady Henriette Gesellschaft hat. Eins kriegt Selma und eins kriegt Chayenne.“
Chayenne riss die Augen auf: „Du schenkst mir eins?“
Polly nickte: „Weil du meine Freundin bist. Aber du musst warten, bis die Jungen groß genug sind. In meinem Meerschweinchenbuch steht, es dauert ungefähr vier Wochen. Bis dahin kannst du dir einen Käfig anschaffen und ein kleines Freigehege anlegen.“
Chayennes Augen glänzten: „Du schenkst mir echt eins von deinen Meerschweinchen?“
„Ja“, antwortete Polly. Sie lächelte Chayenne an.
„Danke“, sagte die. Sie sprach wieder mit dieser komischen leisen Piepsstimme. „Ich muss aber erst daheim fragen, ob ich eins haben darf.“
„Lasst uns wieder rüber gehen“, schlug Georg vor. „Ihr habt die Jungen gesehen und es ist am besten, wir lassen Sir … hrm … Lady Henriette mit ihrem Nachwuchs allein, damit sie sich von den Strapazen der Geburt erholen kann. Wir haben alle unsere Getränke offen stehen lassen. Ich bin gespannt, ob jemand fliegendes Geziefer eingefangen hat.“
Vor Stephans Haus stand ein Wagen. Zwei Leutchen standen dort und sahen ihnen entgegen.
„Hallo Herr Harrer.“ Es waren die Webers, die ihm das Haus in Runsach abgekauft hatten.
„Gibt es Probleme mit dem Haus?“ wollte Stephan wissen. „Ist das Dach eingestürzt?“
Alfons Weber schüttelte den Kopf: „Mit dem Haus ist alles in bester Ordnung. Es geht um das zusätzliche Ackerland, das Sie uns verkauft haben, Herr Harrer.“
„Was ist damit?“ fragte Stephan.
„Nun … wir bekommen nicht den Preis, der uns versprochen wurde“, sagte Agnes Weber. „Diese Kowaks bieten uns nicht einmal die Hälfte dessen, was Sie uns zugesagt haben, Herr Harrer.“
„Wie bitte?“, fragte Stephan. „Ich soll Ihnen etwas zugesagt haben? Sonst geht’s aber?! Sie haben sich von diesem Boris Kowak beschwatzen lassen, und ich habe Sie sogar gewarnt, dass sie den hohen Preis, den der nannte, nicht bekommen würden. Aber Sie haben meine Warnung in den Wind geschlagen. Ich habe Ihnen gesagt, dass der Kowak-Clan es mit der Wahrheit bei Geschäften nicht so genau nimmt und Sie sich vorsehen sollen. Statt auf mich zu hören, sind Sie mir über den Mund gefahren.“
Stephan visierte Alfons Weber an: „Das müssen Sie schon uns überlassen, junger Mann!“ So haben Sie zu mir gesagt. „Wir können ja nicht dafür, wenn Sie mit ihren Nachbarn im Streit liegen. Wir sind alt genug, um uns selber ein Bild von den Menschen zu machen. Ihre Hetztiraden sparen Sie sich bitteschön!“ Genau das haben Sie mir an den Kopf geworfen.“
„Aber wir bekommen das versprochene Geld nicht“, rief Agnes Weber. „Wir haben uns doch darauf verlassen!“
„Und warum kommen Sie damit zu mir?“ sagte Stephan. Er musste sich Mühe geben, höflich zu bleiben. Die beiden Leutchen fingen an zu nerven.
„Ja, weil wir es von Ihnen gekauft haben“, sprach Alfons Weber. Er war ganz Empörung.
Stephan trat auf den Mann zu: „Jetzt sage ich Ihnen mal was, Herr Weber. Sie haben einen ordentlichen Kaufvertrag beim Notar unterschrieben. Dort steht drin, dass sie das Haus mit dem gesamten Grundstück kaufen. Fertig. Ich kann nichts dafür, wenn Ihnen nun nachträglich etwas an dem Grundstück nicht gefällt. Sie haben sich alles angesehen und dann den Vertrag mit mir geschlossen. Alles rechtens.“
„Aber unser Geld!“ regte sich Agnes Weber auf. „Sie müssen dafür sorgen, dass wir das versprochene Geld bekommen.“
„Ganz bestimmt nicht“, sagte Stephan. „Ich habe sogar versucht, Sie zu warnen, aber sie haben mich hingestellt wie einen Deppen. Sehen Sie nur zu, wie sie den Preis bekommen, den Sie haben wollen. Ich habe mit der Angelegenheit nichts mehr zu tun.“
„Aber sicher doch!“ ereiferte sich Alfons Weber. „Sie haben uns dieses Haus angedreht! Sie wussten, dass wir den Preis nicht bekommen würden und ...“
Stephan drehte sich um und ließ den Mann einfach stehen. Er wusste, wenn er sich das dämliche Gejammer noch eine Minute anhören musste, würde er ausfällig werden. Er ließ seine Freunde aufs Grundstück und schloss demonstrativ die Gartentür hinter sich.
Die Webers lamentierten lautstark und voller Empörung, während die kleine Gesellschaft ums Haus herum lief und sich wieder an die Gartentische setzte.
Zurück in Stephans Garten fand der Bienerich eine ersoffene Mücke in seinem fast leeren Guinness und in Stephans Glas übte eine Wespe Brustschwimmen.
„Ja! Elend umkommen sollst du, du versoffenes Biest“, sprach er boshaft. „Kommt gierig daher geflogen, und will mir meinen Apfelwein wegsaufen.“ Er schaute die Anderen der Reihe nach an: „Was war denn das gerade eben? Sind die meschugge? Wieso soll ich für den Preis gerade stehen, den Boris Kowak ihnen vorgelogen hat? Ich habe sogar versucht, die Leutchen zu warnen, aber die wollten nicht auf mich hören. Ihr hättet dabei sein sollen. Wie ein deppertes Kindergartenkind haben die mich behandelt.“
„Reg dich nicht auf“, sagte Matthias. „Die sind so. Die änderst du nicht. Die waren schon immer so. Das sind waschechte Arschlöcher.“
Stephan merkte auf. Solche Kraftausdrücke benutzte sein Freund aus alten Tagen extrem selten.
„Brauchst nicht so zu gucken“, sagte Matthias. „Es ist, wie ich es sage: Das sind Arschlöcher! Eingebildete Laffen, die der Meinung sind, sie seien die Herrscher der Welt. Gott! Warum mussten die Idioten hier auftauchen? Gut, dass ich weiß, dass die in Runsach aufgeschlagen haben. Wir werden auf gar keinen Fall ein Haus dort kaufen. Nicht, wenn wir diese Deppen als Nachbarn bekommen.“
„Du kennst die Webers?“ fragte Stephan.
„Leider“, gab Matthias zurück. „Es sind entfernte Bekannte meiner Eltern. Gott sei Dank weit entfernt. Ich bekam sie nicht oft zu sehen, aber die wenigen Male haben mir gereicht. So etwas von sich Überzeugtes und Besserwisserisches ist mir noch nicht untergekommen. Sie sind der Meinung, dass sie allein das Wissen der Welt gepachtet haben und das zeigen sie auch offen. Sie wollen jedem ihre Meinung aufzwingen und wissen alles besser.
Sakrament!“ Matthias nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. „Die wollen den Leuten alles aufzwingen: Ihre Meinung, ihre Vorlieben, ihr Essen, was weiß ich noch!
Es ist schon ein paar Jahre her, ich war vierundzwanzig, da sind meine Eltern zu denen gefahren. Die Webers hatten zum Gartenpicknick geladen. Ich ließ mich breitschlagen, mitzukommen, obwohl ich diese Leute nicht mochte. Zum Glück fuhr ich mit meinem eigenen Auto hin, sonst hätte ich fünfzehn Kilometer zu Fuß nach Hause laufen können.
Die Webers hatten Kuchen besorgt und boten in Schälchen die Beeren aus ihrem Garten an. Da waren auch Stachelbeeren dabei. Ich kann Stachelbeeren nicht ausstehen, schon seit meiner Kindheit nicht. Da ist zum einem dieser pelzartige Flaum außen auf den Früchten. Das ekelt mich ungemein, wenn ich das in den Mund bekomme. Und dann der Geschmack; der sagt mir überhaupt nicht zu. Schmeckt meiner Meinung nach wie eine Mischung aus wässriger Melone und verwesten Gummibärchen. Alle Leute lieben Stachelbeeren, aber ich nun mal nicht.
Also lehnte ich höflich ab, als die Agnes mir welche anbot. Ich dachte, damit hätte es sich. Denkste! Die wollte mir die Dinger mit Gewalt aufzwingen.
„Ach probier doch mal ein paar. Die sind wirklich gut.“
„Danke nein“, sagte ich.
„Aber warum denn nicht? Die schmecken sooo fein!“
„Ich mag keine Stachelbeeren“, gab ich zurück. Das half nicht im Mindesten.
„Aber die sind so fein“, hakte die Weber nach. „Und sie sind gesund. Da ist ganz viel Vitamin C drin. Komm, iss doch ein paar!“
„Nein!“ sagte ich. Da war ich schon am Sieden. „Ich essen keine Stachelbeeren.“
„Aber warum nicht?“ fragte sie.
„Weil sie mir nicht schmecken. Ich mag keine Stachelbeeren“, sagte ich.
„Die schmecken aber doch so gut“, trompetete die Weberkuh und streckte mir die Schale unter die Nase: „Nun iss schon!“ Sie wandte sich an ihren Mann: „Alfons? Sind die Stachelbeeren nicht gut?“
„Natürlich sind die gut“, dröhnte Alfons. „Die schmecken hervorragend.“
„Da hörst du es“, sagte die Webernervensäge. „Die schmecken gut.“ Sie hörte nicht auf zu drängeln: „Nun iss welche!“
Da wurde ich dann ein wenig lauter. „Ich habe Nein gesagt! Wie oft soll ich es noch sagen! Ich esse keine Stachelbeeren! Ich kann sie nicht ausstehen! Schon als Kind wollte ich keine! Ich mag sie nun mal nicht.“
Was meint ihr, was die alte Zecke da von sich gab?
„Ach in der Kindheit. Der Geschmack ändert sich ja im Laufe des Lebens. Probier doch wenigstens mal. Nur ein paar! Du wirst sehen, sie schmecken dir. Alle Leute mögen Stachelbeeren.“ Wieder drückte sie mir die verdammte Schale fast ins Gesicht hinein. Mir blieb nichts übrig, als aufzustehen und zu gehen. Keine Chance, der nervenden Megäre zu entkommen. Ich musste mich dünne machen. Junge, Junge!“
Matthias blickte in die Runde. Er rollte die Augen: „Meine Eltern haben mir später erzählt, die Webers hätten keine Ruhe gegeben. Sie hätten den ganzen Nachmittag auf der Angelegenheit herumgehackt. Wieder und wieder hätten sie gemault und gemotzt, weil ich so unhöflich war und partout keine von den ach so gesunden und ach so feinen Stachelbeeren essen wollte. Sie haben es so oft wiederholt, dass meine lieben Elterntiere schließlich vorzeitig aufbrachen. Seitdem ist der Kontakt so gut wie eingeschlafen. Was mir mehr als recht ist. Ihr habt die zwei Beknackten ja gerade live erlebt.“
Matthias lachte sich einen: „Habt ihr bemerkt, wie sie mich grade eben völlig ignoriert haben? Die sind immer noch sauer, dass ich mir vor Jahren nichts von ihnen aufzwingen ließ.“
„Solche Bekannte hatten wir auch“, erzählte Monica. „Es war eine Tante, die über sieben Ecken mit uns verwandt war. Die wollte mir immer irgendwelche Klamotten aufzwingen. Ich konnte vorbringen, was ich wollte, sie beharrte drauf, mir den Quatsch aufschwatzen zu müssen. Schließlich musste ich lernen, sie einfach zu ignorieren. Anders kam ich nicht gegen die an.“
„Ochsen gibt’s, die sind schlimmer als das Vieh“, brummte Eugen Niedermeyer. „Das klingt ja fürchterlich.“ Er schüttelte den Kopf.
„Diese Webers sind unruhig“, sagte Astrid todernst. „Die sind viel zu verkrampft.“ Alle lachten. Die dunkle Wolke, die über ihnen gehangen hatte, verzog sich.
„Ich sollte sie mit meinem alten Herrn bekannt machen“, überlegte Stephan laut. „Die drei würden gut zusammenpassen. Drei Besserwisser. Ein wundervolles Trio.“
Plötzlich schlug der Leutnant an. Er flitzte ums Haus herum.
„Oh Gott! Die kommen doch nicht etwa zurück?“ Matthias verzog das Gesicht.
Es waren nicht die Webers. Es war Chayennes Cousine Jerome Joel, der vom Leutnant eskortiert ums Haus kam.
„Guten Tag“, sagte er höflich. „Ich komme die Chayenne abholen.“
Nadja hielt sich an Chayenne fest: „Ajenn soll nicht gehn!“
Jerome bückte sich zu dem kleinen Mädchen hinunter: „Sie muss aber, junges Fräulein. Ich bin gekommen, um auf sie aufzupassen. Weil einer hinter ihr her ist.“
Polly tröstete Nadja: „Ihr kommt ja bald wieder auf Besuch und dann ist Chayenne auch hier. Deine Mama muss vorher anrufen, dass ihr kommt, dann kann ich Chayenne Bescheid sagen, Nadja.“
Jerome Joel piekte Nadja in den Bauch: „Wir müssen leider los, sonst holen uns unterwegs die beiden Riesen.“
Nadja schaute aus großen Augen zu ihm auf: „Riesen?“
Jerome nickte: „Aber ja. Zwei riesengroße Riesen. Der eine heißt Runs und sein Bruder heißt Rhens. Seit ihr Papa mit ihnen geschimpft hat, hocken sie beleidigt neben der Landstraße und warten auf Leute, die sie vermöbeln können. Sie hauen den Leuten Bäume auf den Kopf.“
Nadja gaffte hingerissen.
Jerome spann sein Garn weiter: „Vor langer Zeit lebten einmal zwei Riesenjungs hier in der Gegend. Sie waren Brüder. Sie hießen Runs und Rhens und sie stritten oft miteinander. Eines Tages machte der Runs eine Bach. Da kam so viel Wasser beim Bacheln aus ihm raus, dass daraus die Bache wurde. Weil aber die Leute das B in Bache nicht gut aussprechen konnten, nannten sie das Gewässer die Ache.
Wie der Rhens sah, dass sein Bruder punzelte, rief er: „Der Runs! Der Runs! Der macht eine Brunz!“
Da rief der Runs: „Wenns jetzt ned die Goschen haltst, hau i dir eine nein, dasd rhennst!“
Da wurde ihr Papa böse mit ihnen und hat sie ausgeschimpft, weil sie immer so streitlustig waren. Zur Strafe musste jeder an der Ache ein Dorf bauen, in dem die Menschen leben durften. Die sollten nach den Namen der Riesen Runsach und Rhensach heißen. Weil der Runs so ein Angeber war, baute er das größere Dorf. Der Rhens baute sein Dorf viel kleiner, aber in seinem Dorf leben dafür die schönsten kleinen Prinzessinnen so wie du, Prinzessin Nadja.“
Nadja lachte über das ganze Gesicht.
Jerome gab ihr die Hand: „Ich bin der Jerome. Kannst mich Jerry nennen. Das tun alle meine Freunde.“ Er kam hoch und schaute Chayenne an: „Wir müssen dann, Cousinchen. Ich hab mein Fahrrad mit. Keine Angst, ich fahr langsam, damit du auf deinem Minirädchen mithalten kannst.“
Die Kinder kamen mit nach vorn zur Straße. Nadja wollte „Ajenn“ Winke-Winke machen.
„Pollys Meerschweinchen hat Junge gekriegt“, erzählte Chayenne ihrem Cousin. „Sie will mir eins schenken. Hoffentlich darf ich.“
„Das ist aber echt cool von Polly“, sagte Jerome. „Dein Vater hatte früher selber Meerschweinchen. Der sagt bestimmt nicht nein.“ Er knuffte Chayenne ziemlich grob: „Wenn er nicht spurt, gehst du zum Opa Siegfried. Der richtet das.“
Sie stiegen auf die Fahrräder, winkten Nadja zu und kurbelten davon in Richtung Runsach.
„Find ich gut, wie dieser Jerry auf seine jüngere Cousine aufpasst“, meinte Astrid, als sie alle wieder am Grillplatz versammelt waren. „Dass die Kowak-Sippe zusammen hält, hat nicht nur sein Schlechtes, wie man eben sah. Der junge Mann beschützt die Chayenne.“
„Aber nachts ist er nicht da“, warf Polly ein. „Und der Schratzl kommt immer in der Nacht. Die Eltern von der Chayenne lassen sie nicht in ihrem Schlafzimmer übernachten. Sie sagen, sie soll sich nicht so anstellen. Dabei weiß doch jeder, dass der Schratzl jedes Schloss knacken kann. Chayenne hat Angst.“
Von dem Tipp, den sie ihrer Freundin gegeben hatte, sagte Polly nichts. Sie fand, dass das die Erwachsenen nichts anging.


Geschrieben von carolne1960 am 17.03.2015 um 03:52:

Irgentwie hab ich das Gefühl, dass Jerry noch eine wichtige Rolle spielen wird. Hilft er etwar den Schratzl zu fangen?
verwirrt

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Was ist der Mensch - nur ein flüchtiger Gedanke - nicht zu greifen - nicht zu fassen. Stets schweigend mit sich im Gespräch vertieft durforsch er sich und findet sich nie.
Der Traum ist die wahre Wirklichkeit. großes Grinsen

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