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Geschrieben von Stefan Steinmetz am 01.03.2015 um 06:26:

Der Elfenmacher(19)

„Oh Mann! Ist das scheiße!“ Stephan Harrer kratzte sich unter den Armen. „Das darf doch nicht wahr sein, verdammt!“ Es brannte und juckte unter seinen Armen, seit er aufgestanden war. „So kann sich kein Mensch auf die Arbeit konzentrieren!“
Er hatte angefangen, den Morgan zusammenzubauen. Aber das ständige Jucken unter den Armen machte ihn wahnsinnig.
„Das muss an dem dämlichen Shampoo liegen“, sagte er zum Leutnant, der wie üblich an seiner Seite war. „Hundert Pro!“ Er stand auf und lief ins Bad, gefolgt von dem aufmerksamen Großspitz. Unterwegs zog er sein kariertes Flanellhemd aus.
Im Bad knipste er das Licht am Alibert an. Er hob die Arme und begutachtete seine Achselhöhlen. „Dachte ich es mir doch! Genau wie damals!“
Mit dreiundzwanzig Jahren hatte das schon einmal erlebt. Er hatte ein neues Duschgel benutzt und nach ein paar Tagen war er unter den Achseln wund geworden.
Stephan schaute den Spitz an: „Ich habe keine Creme im Haus. Nichts. Sieht so aus, als müsse ich mal eben in den Supermarkt in Achen, um Babycreme zu kaufen.“ Er machte ein Gesicht, als hätte er ein Fass Essig austrinken müssen. „Da freu ich mich ja riesig drüber. Ich bin mitten im Bauen meines neuen Modells. Grrr! Das ist sogar Doppel-Grrr!“
Er wusste, es blieb ihm nichts anderes übrig. Das Wundsein unter seinen Armen würde sich weiter verschlimmern. Es war eine Reaktion auf einen Zusatzstoff in seinem neuen Duschgel. Er brauchte dringend Babywundschutzcreme. Die musste er ein oder zwei Tage lang morgens, mittags und abends auftragen. Und selbstverständlich brauchte er ein neues Duschgel. Das alte konnte er in den Müll werfen.
„Hoffentlich bin ich bis zu Pollys Geburtstag wieder gefechtsklar.“
Er hatte gerade seine Autoschlüssel eingesteckt, als das Telefon klingelte. Es war Eugen Niedermeyer: „Entschuldige bitte die Störung, Stephan. Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht zufällig ein Suppenhuhn in der Kühltruhe hast. Ich habe urplötzlich einen unglaublichen Jieper auf eine schöne Hühnerbrühe mit Gemüse. Aber ich komme hier im Moment nicht weg. Ich stecke bis über die Schultern in Arbeit.“
„Kein Problem, Bienerich“, sagte Stephan. „Ich wollte eh grade zum Einkaufen fahren. Ich bring dir einen toten Vogel rüber.“ Er lachte: „Aber beiß erst hinein, wenn er aufgetaut ist.“
Nachdem Stephan dem Spitz aufgetragen hatte, auf Haus und Hof aufzupassen, ließ er den Hund hinter der geschlossenen Gartenpforte zurück. Er ging zu Eugen Niedermeyer rüber und klingelte. Die Tür öffnete sich sofort und Eugen nahm das tiefgefrorene Huhn in Empfang.
„Besten Dank, mein Lieber. Ich gebe es zurück, sobald ich loskomme um einzukaufen.“ Der Bienerich klang irgendwie nuschelig.
„Nicht der Rede wert“, meinte Stephan und lief zu seinem Auto. “Brauchst du nicht. Geht aufs Haus. Dafür esse ich beim nächsten Grilltag eine Portion mehr von deinem tollen Meeresfrüchtesalat.“
Er setzte sich ins Auto und fuhr los. Auf dem Weg nach Achen kam er durch Runsach. Er fuhr einen kleinen Umweg und ließ den Wagen an seinem alten Domizil vorbeirollen. Er hatte noch immer keine Käufer gefunden. Allmählich machte ihm das Sorgen. Was, wenn der Kasten ein oder zwei Jahre leer stand, bevor er ihn los wurde? Eine unangenehme Vorstellung. Er kratzte sich unterm Arm. Scheiß-Jucken! Warum war er auch so empfindlich? Er kannte keinen Menschen auf der Welt, der von einem neuen Shampoo unter den Armen wund wurde.
„Ich krieg ganz schön oft die Arschkarte vom Schicksal“, brummte er.
Ihm fiel eine Bewegung im Augenwinkel auf. Im Haus neben seiner ehemaligen Bleibe bewegte sich an einem Fenster etwas hinter der Gardine.
„Die alte Kowak! Oh Mann! Pass auf, dass du dir nicht die Augen aus dem Kopf glotzt, du blöde Schrunzel!“
Den restlichen Weg zum Supermarkt ärgerte er sich über die neugierige Alte. Die Welt hätte so schön sein können ohne das räudige Kowaken-Gesocks. Zur Sicherheit kaufte er gleich drei verschiedene Duschgels, denn seine Marke war immer noch nicht da, und eine große Tube Babywundschutzcreme.
Zuhause lief er sofort ins Bad, zog das Hemd aus und cremte sich unter den Achseln ein. Dort war alles rot und wund.
„Was für ein Mist!“ sagte er zum Leutnant. „Das brennt und juckt vielleicht. Das Modellauto kann ich vergessen und was noch blöder ist: den nächsten Einsatz auch!“
Er wusste dass es einige Zeit brauchen würde, bis die gereizte Haut unter seinen Armen wieder okay war. In dieser Zeit war an eine Aktion Erdstall nicht zu denken. Wütend schloss er die Cremetube und knallte sie aufs Waschbecken: „Scheißdreck!“

*

Notizbuch II/Numero XII:
Welch ein Unglück! Ich kann das neue Objekt nicht ins Labor holen. Ich bin nicht gesund. Es ist nichts Schlimmes, aber ich kann unmöglich in diesem körperlichen Zustand arbeiten. Das ist nicht drin. Ich muss zuwarten.
Es ist zum Verrücktwerden. Es war alles vorbereitet, das Objekt auserwählt. Ich habe eine gute Wahl getroffen, ganz nach den Vorgaben des großen Convertius Magnus. Aber in meinem Zustand kann ich mich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als abzuwarten. Das ist sehr enttäuschend.

*

Der Tag von Pollys zehntem Geburtstag war gekommen. Es war Mittwoch. Hinter Kolbes Haus fand die Party statt. Mit ihren Freundinnen würde Polly am Samstag einen extra Kindergeburtstag feiern. Heute waren nur die Großen da und Pollys beste Freundin Dunja, die selbstverständlich ihr Meerschweinchen mitgebracht hatte. Sir Henry und Sir Arthur vergnügten sich in der tags zuvor weiter angewachsenen Schweinerei. Inzwischen waren über dreißig Module an die Garagenwand der Kolbes geschraubt. Den beiden Meeris gefiel es offensichtlich. Sie liefen eifrig auf und ab und erkundeten gemeinsam das Neuland.
Neben den Großeltern Pollys und zwei Tanten war auch Stephan eingeladen.
Polly freute sich über die Geschenke. Den Vogel schoss Stephan ab. Als das Mädchen das große Paket öffnete und die Nähmaschine zum Vorschein kam, stieß sie einen Schrei aus: „Eine Artex 4000!“ Sie flog Stephan entgegen und umhalste ihn wie eine Ertrinkende: „Danke, Stephan. Danke! Vielen Dank. Du bist so lieb.“
Obwohl ihre Eltern dagegen waren, gab Polly keine Ruhe. Sie musste die Maschine auf der Stelle ausprobieren. Sie stellte sie auf einen Tisch und schloss sie an die Kabeltrommel an, die den Strom für den Grillmotor lieferte. Dann hockte sie mit Dunja an der Maschine. Gemeinsam nähten die beiden Mädchen Stoffstücke aneinander. Sie probierten die verschiedenen Programme der Artex aus. Jedes Mal geriet Polly außer sich vor Begeisterung. Erst nach einer halben Stunde gab sie Ruhe und trug ihr Geschenk ins Haus.
„Mensch Stephan, das wäre doch nicht nötig gewesen“, sagte Sandra. „So viel Geld!“
Stephan zuckte die Achseln: „Ich habe genug Geld. Lass mal. Sei doch froh, dass sie demnächst dauernd an ihrer Nähmaschine sitzt, oder möchtest du, dass sie stattdessen mit irgendwelchen Kowak-Rangen umherzieht und Unsinn anstellt?“
„Na das fehlte noch“, mischte sich Pollys Großmutter ein. „Kowaken sind schlechter Umgang. Das sind doch alles Kleinkriminelle; sogar die ganz Jungen schon.“ Sie verzog das Gesicht: „Nach dem Krieg war das nicht anders. Unsere Eltern haben uns verboten mit Kowak-Kindern zu spielen, weil sie einen schlechten Einfluss auf uns hatten. Lass die Polly nur nähen, Sandra.“ Die alte Dame lächelte Stephan an: „Sie haben meiner Enkelin aber wirklich ein sehr teures Geschenk gemacht, Herr Harrer.“
Stephan winkte ab: „Ich habe in der Lotterie gewonnen. Da kommt es auf den einen oder anderen Hunderter nicht an. Natürlich kann ich das Geld nicht mit vollen Händen ausgeben, aber Polly hat sich die Maschine so sehr gewünscht. Ich wollte ihr eine Freude machen.“
Pollys Großmutter lächelte ihn an: „Das ist Ihnen gelungen.“
Es wurde ein netter Nachmittag mit Kaffee und Kuchen und Gegrilltem. Am späten Nachmittag verabschiedeten sich die Großeltern und Tanten.
„Bleib noch ein bisschen“, sagte Georg zu Stephan. „Wir schmeißen den Grill nochmal an. Ich habe extra ein paar Flaschen Apfelwein besorgt – deine bevorzugte Sorte. Sie stehen seit heute Morgen im Kühlschrank. Du willst das gute Zeug doch nicht verderben lassen.
„Das nächste Mal grillen wir bei mir“, meinte Stephan, als sie gemütlich trinkend beisammen saßen. „Bis dahin habe ich den ersten Schienenkreis gelegt. Der gute Domik hat zwar ein großes Mundwerk, aber er packt auch kräftig mit an. Wir kommen gut voran. Ich habe bei einem Feldbahnverein eine gebrauchte Akkulok gekauft. Die kommt demnächst, zusammen mit zwei Waggons. Nichts Besonderes, so offene Loren halt mit Sitzbänken drin.“
„Kommt Domik auch zum Grillen?“ wollte Polly wissen.
Stephan nickte: „Klar. Er hat schließlich geholfen, also ist er zur Einweihung meiner privaten Eisenbahn eingeladen. Er kommt mit seiner Familie.“
„Oh fein“, freute sich Polly. „Dann kann ich Selma wiedersehen. Die ist meine Freundin geworden.“

*

Arne Ellerbrok, Runsach:
Ich habe mit Achim Meese gesprochen. Es ließ mir keine Ruhe. Der hat gleich abgewunken. Man kann nicht einfach das Haus von jemandem durchsuchen, nur weil er hinkt. Die Bürgerwehr hat den Hinkefuß nicht deutlich genug gesehen, um ihn wiederzuerkennen. Ich ebenfalls nicht. Da reicht es auch nicht, dass meine beiden „Verdächtigen“ die Kowaks nicht leiden können.
„Ich schätze, wenn wir in Runsach eine Umfrage machen würden, fänden wir hunderte Menschen, die die Kowaks nicht mögen“, hat Achim gesagt. „Nein Arne, so geht das leider nicht. Da müsste eure tolle Bürgerwehr schon einen inflagranti erwischen und ihn erkennen. Selbst dann ist es kompliziert. Offiziell geht die Polizei nicht von Morden aus. Es gibt keine Leichen. Verstehst du?“
Auf einer Seite ist das frustrierend für mich. Andererseits hätte ich Unschuldige zu Unrecht anklagen können. Im Moment ist es still geworden in Runsach. Der Entführer hat lange nicht mehr zugeschlagen. Einige meinen sogar, es wäre jetzt Schluss mit der Angelegenheit.
Das glaube ich nicht. Wer immer hinter der Sache steckt, geht professionell und geplant vor. Der hört nicht auf. Der macht weiter bis … ja bis wohin? Bis alle zehn und elfjährigen Mädchen der Kowaks weg und ihr abgesägten Hände bei den Eltern gelandet sind? Oder macht der Irre dann weiter? Sucht er sich neue Opfer? Wer kann schon in den Kopf eines Wahnsinnigen schauen.
Obwohl es ruhig geworden ist, hält die Auswanderungswelle unter den Kowaks an. Bis jetzt haben sieben Familien das Dorf verlassen. Wenn das so weitergeht, steht der alte Siegfried Kowak bald ganz allein da. Ich bin kein gehässiger Mensch, aber gönnen täte ich es dem Alten.

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