Stefans Geschichten (http://www.stefans-geschichten.de/wbblite/index.php)
- Willkommen auf der Homepage von Stefan Steinmetz (http://www.stefans-geschichten.de/wbblite/board.php?boardid=31)
--- Die kleine Privat-Ecke (http://www.stefans-geschichten.de/wbblite/board.php?boardid=86)
---- Der Elfenmacher (http://www.stefans-geschichten.de/wbblite/board.php?boardid=83)
----- Der Elfenmacher(7) (http://www.stefans-geschichten.de/wbblite/threadid.php?threadid=1304)


Geschrieben von Stefan Steinmetz am 13.02.2015 um 21:04:

Der Elfenmacher(7)

Es war Samstagmittag. Stephan holte seinen Grill aus dem Keller. Das Wetter war herrlich. Die Sonne schien und der Wind, der in den letzten Tagen geweht hatte, war vollkommen eingeschlafen. Perfektes Wetter zum Grillen.
„Beim besten Willen, müssen wir heute grillen“, sang er dem Leutnant vor, der natürlich an ihm klebte, während er den Grill die Kellertreppe hoch trug. Er hielt das Ding an zwei seiner drei Standbeine fest. Kaum war er oben angekommen, als eines der Beine abknickte. Der Grill fiel ihm aus der Hand und knallte scheppernd auf den Boden. Stephan stand da, ein abgebrochenes Grillbein in der Hand und schaute dumm aus der Wäsche.
Anschließend ließ er einige nicht ganz stubenreine Ausdrücke vom Stapel, von denen „mieser Scheißgrill“ noch einer der harmloseren war.
„Gibts denn so was?“ brummte Stephan, währen der Großspitz an dem am Boden liegenden Grill schnupperte. „Kein Jahr alt und schon hin! Billiges Scheißteil!“
Der Grill bestand aus dünnen Blechteilen. Gekauft hatte er ihn im Supermarkt in Achen.
„So eine Hühnerkacke!“ fluchte Stephan. „Jetzt kann ich nach Achen fahren und einen neuen kaufen und das Teil ist genauso mies wie das alte!“ Brummelnd umrundete er das Haus.
Auf der anderen Straßenseite sah er in vierzig Metern Entfernung das Nachbarehepaar. Er kannte Sandra und Georg Kolbe nur vom Sehen. Man grüßte sich, wenn man sich auf der Straße traf. Mehr nicht. Stephans Schüchternheit gegenüber Fremden hatte eine tiefere Bekanntschaft bislang nicht zugelassen.
Mit dem kaputten Grill in der Hand sah er zu, wie die Kolbes gemeinsam eine alte Couch aus dem Haus schleppten und in der Garage deponierten, wo schon die dazu passenden Sessel und eine Stehlampe und ein kleines Schränkchen standen.
„Ah … Entschuldigung“, rief Stephan über die Straße. „Stimmt es, dass am Montag Sperrmüllabfuhr ist? Weil ihr die alten Sachen raus stellt.“
„Ja“, rief Sandra Kolbe herüber. „Wir parken alles in der Garage. Dann müssen wir es am Sonntagabend nur noch auf die Straße stellen.“
„Danke“, sagte Stephan. Er hielt den demolierten Grill hoch: „Das da habe ich zum Entsorgen. Ein unsäglicher Billigheimer. Als ich ihn aus dem Keller holte, ist doch glatt ein Bein abgebrochen.“
Sandra und Georg kamen über die Straße zu ihm. Sofort machte der Leutnant Meldung. Er blieb in Habachtstellung neben seinem Herrchen stehen und visierte die Fremdlinge an, die sich in Richtung seines Reviers bewegten.
„Das ist echt ein Billigheimer“, kommentierte Georg Kolbe fachmännisch. „Du solltest dir was Besseres anschaffen.“
„Leider gibt es im Supermarkt in Achen nichts Gescheites“, sagte Stephan.
„Schau doch mal bei Klima & Elektro Spängler vorbei“, meinte Sandra. Die haben neben Elektrogeräten und Klimaanlagen auch Gartenartikel. Auch Grills und zwar richtig gute.“ Sie schaute auf ihre Armbanduhr: „Viertel vor eins. Tut mir leid. Die schließen in einer Viertelstunde. Du musst warten bis am Montag.“
„Bis dahin sind meine Würste verdorben“, grummelte Stephan. Er schaute verdrießlich: „Da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als schnell nach Achen in den Supermarkt zu fahren und als Überbrückung nochmal so einen billigen Blechgrill zu kaufen. Teuer sind sie ja nicht; bloß taugen sie nichts.“
Sandra lächelte ihn freundlich an: „Weißt du was? Komm doch einfach zu uns rüber. Wir grillen auch heute Nachmittag. Bring dein Grillgut mit.“
Stephan dachte nach. „Ja, das ginge“, meinte er. Er fühlte sich seltsam schwerfällig, wie immer wenn er mit Leuten zusammenkam, die er noch nicht richtig kannte. „Ich könnte Holzkohle mitbringen. Davon habe ich tonnenweise im Keller. Und was zu Trinken. Mögt ihr Apfelwein?“
Sandra hängte sich bei ihrem Mann ein: „Männe trinkt lieber Bier, aber ich probiere gerne mal einen Schoppen. Man kann ja auch Schorle davon machen.“
„Sicher“, antwortete Stephan. „Wenn es sehr heiß ist, spritze ich den Ebbelwoi immer mit Mineralwasser. Aber am liebsten mag ich ihn pur.“
Er hob den kaputten Grill: „Ich stell das Ding hinters Haus. Dann hole ich Holzkohle und ein paar Flaschen Apfelwein. Habt ihr Kühlung?“
„Wir haben eine Eismaschine“, sagte Georg. „Kannst deine Pullen in einen Eimer mit Eiswürfeln stellen. Mach ich mit meinem Bier auch immer. Ich mag es so richtig kalt.“
Stephan lächelte: „Ich auch.“ Er wandte sich an den Spitz: „Komm Leutnant. Ich hole die Sachen und du bleibst hier und passt auf Haus und Hof auf.“
„Ach wo“, sagte Sandra. „Bring ihn ruhig mit. Das ist doch ein ganz Lieber.“ Sie bückte sich und streichelte den Leutnant, bevor der die Nase in die Luft strecken und sie ignorieren konnte. Verdutzt ließ er sich die freundliche Geste gefallen. So ganz recht war es ihm nicht, aber er war ein Gentleman und machte keinen Aufstand deswegen. In dieser Beziehung war der Leutnant durch und durch britisch: Es gab nichts, was er nicht ignorieren konnte. Und so ein kleines bisschen gefiel es ihm ja. Was er aber nie im Leben zugegeben hätte. Fremden gegenüber hatte ein Spitz, der etwas auf sich hielt, misstrauisch zu sein; wenigstens zu Anfang.
„Ein toller Hund“, sagte Sandra und wuschelte durch des Leutnants Fell. Sie schaute zu Stephan auf: „Ja dann hol dein Zeugs und komm rüber. Die Gartenpforte ist offen. Komm einfach hinters Haus.“
„Soll ich einen Gartenstuhl mitbringen?“ fragte Stephan. Noch immer fühlte er sich eigenartig gehemmt.
„Ach wo!“ sagte Georg. „Wir haben mehr als genug Sitzmöbel.“ Er nahm seine Frau beim Arm und wandte sich zum Gehen: „Bis gleich, Herr Nachbar.“
Wenige Minuten später war Stephan unterwegs zum Haus der Kolbes. Er fühlte sich ein wenig unwohl, wie immer wenn er fremdes Terrain betreten musste. Am liebsten wäre er umgekehrt und hätte unter einem Vorwand abgesagt.
Hör auf mit dem Käse, sagte er in Gedanken zu sich selbst. Die werden dich schon nicht beißen. Es ist doch gut, die Nachbarn kennenzulernen. Es sind auf alle Fälle bessere Menschen als die miese Kowak-Bande in Brunzach. Also vorwärts, Herr Harrer! Du hast ja den Leutnant bei dir. Du bist nicht allein in der Fremde. Also nicht so schüchtern.
Beladen mit einem Sack Holzkohle und einer Sporttasche, in der sich die Würste und drei Flaschen Apfelwein befanden, enterte er das Kolbesche Anwesen.
Sandra und Georg erwarteten ihn. Bei einem aus Ziegelsteinen gemauerten Grill stand ein großer Tisch mit vier Stühlen. Zwei Plastikeimer mit Eiswürfeln standen auf dem kurzgeschnittenen Rasen. Rechts bei der Garage befand sich eine Art kleines Gehege aus Hasendraht und Holzlatten. Drinnen saß ein Meerschweinchen. Der Rasen reichte neben dem Haus bis vorne zur Straße.
Der Leutnant eskortierte Stephan zu dem Gartentisch. Georg nahm Stephan die Holzkohle ab: „Das wäre nicht nötig gewesen. Wir haben selber welche. Ich mache Feuer.“
Stephan holte die Tasche. Er nahm die Tüte mit den Würsten heraus und hielt sie Sandra hin: „Wohin …?“
„Leg sie einfach auf den Tisch. Das Feuer ist gleich soweit. Ich geh rein und hole unser Zeugs. Ich habe auch ein paar Salate gemacht. Ich hoffe, du magst Nudelsalat und Reissalat. Kartoffelsalat haben wir auch.“
„Danke, die mag ich alle drei“, sagte Stephan. Er packte die Apfelweinflaschen in einen der Eiseimer. Sie waren bereits vorgekühlt. Er hatte sie am Abend zuvor in den Kühlschrank gestellt.
Der Spitz bellte einmal scharf.
Stephan schaute sich um. Am Gartenzaun stand Eugen Niedermeyer.
Er winkte: „Guten Tag allerseits.“ Als der Spitz zum Zaun lief, bückte er sich und streichelte ihn kurz: „Wünsche Herrn Leutnant einen guten Tag.“ Niedermeyer hatte die altbackene militärische Ausdrucksweise von Stephan von an Anfang an übernommen.
„Grüß Gott, Eugen“, sagte Georg. „Hast du Lust auf ein Bier und etwas vom Grill? Du bist eingeladen.“
„Ach ...“ Niedermeyer zögerte. „Ich … leider habe ich nichts zum Grillen zuhause.“ Er schaute Stephan lächelnd an.
Stephan witterte Unterstützung in der Fremde: „Ich habe Würste genug für eine ganze Kompanie. Daran soll es nicht scheitern. Grobe Bauernbratwürste. Aus der Metzgerei im Ort. Mit Kräutern drin. Die schmecken fantastisch.“
Eugen Niedermeyer nickte: „Die kenne ich nur zu gut. Die sind hervorragend.“
Sandra Kolbe kam mit einer Schüssel in den Händen zum Gartentisch. Sie hatte die Unterhaltung mitangehört: „Na dann komm herein, Eugen. Je mehr wir sind, desto vergnüglicher wird die Grillerei.“
„Nun ja ...“, meinte Niedermeyer.
Der ist genauso gehemmt wie ich, dachte Stephan. Der ist Fremden gegenüber ebenfalls ein wenig zurückhaltend.
„Komm nur, Eugen“, sagte er. „Der Leutnant passt auf dich auf.“
„Also gut“, meinte Eugen. „Aber ich gehe noch rasch nach Hause und hole ein paar Getränke.“
Georg lachte. „Getränke sind immer willkommen. Zum Trinken und zum Mittrinken. Beeil dich. Die Holzkohle brennt schon. Die Glut ist in fünf Minuten so weit. Dann können wir unser Futter auf den Grill legen.“
„Hol noch einen Stuhl“, verlangte Sandra von ihrem Mann und verschwand im Haus.
Stephan wunderte sich. Es standen bereits vier Stühle bereit. Kam noch jemand? Doch hoffentlich niemand Fremdes, den er nicht kannte.
Na ich habe ja Eugen als Verstärkung, überlegte er. Und den Leutnant dazu.
Sandra kam aus dem Haus. Sie trug eine weitere Schüssel. Hinter ihr kam ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren. Sie trug ein hellrotes T-Shirt, eine über den Waden abgeschnittene Jeans und ging barfuß.
Stephans Herz machte einen komischen kleinen Hopser. Es war die Elfe.
Das Mädchen schaute ihn sehr intensiv an. Es stellte die Salatschüssel auf den Tisch und grüßte artig. Stephan grüßte zurück, wobei er hoffte dass niemand merkte, wie seltsam er sich fühlte. Plötzlich gefiel ihm die Grillerei bei den Nachbarn richtig gut.
Sandra nickte in Richtung der Elfe: „Das ist unsere Tochter Apollonia. Sie ist neun Jahre alt und wird demnächst zehn.“ Sie schaute das Mädchen an: „Das ist Stephan Harrer, unser neuer Nachbar.“
Das Mädchen lächelte: „Den kenne ich. Der hat einen coolen Hund.“
Wie auf Kommando erschien der Großspitz. Mit scharfem Blick inspizierte er den Neuankömmling. Was er sah, schien ihm zu gefallen. Er bellte nicht. Stattdessen lief er erhobenen Hauptes zu dem Mädchen und gestattete ihr, ihn zu streicheln.
„Donnerwetter!“ sagte Stephan. „Das tut er normalerweise nie. Er ist Fremden gegenüber sehr zurückhaltend. Das liegt Spitzen im Blut.“
Sandra fasste ihre Tochter von hinten an den schmalen Schultern: „Komm Polly. Hilf mir, Teller und Besteck raus zu bringen.“ Sie liefen zum Haus. Der Leutnant folgte ihnen wie ein Schatten. An der Hintertür stand er Wache, bis die beiden wieder herauskamen und eskortierte sie zum Tisch. Dann stürzte er mit einem kurzen Bellen zur Gartenpforte, wo Eugen Niedermeyer erschien, zwei Sixpacks unter den Armen.
Als er seine Mitbringsel auf dem Tisch abstellte, nickte Georg Kolbe anerkennend: „Guinness. Ja so ein irisches Bierchen ist nicht schlecht, Herr Specht.“
Niedermeyer lachte ihn freundlich an: „Kannst ruhig davon trinken. Wenn es alle wird – ich habe daheim noch mehr.“
Polly und ihre Mutter kamen mit Tabletts heran. Sie verteilten Teller und Essbesteck auf dem Tisch und stellten große Bierkrüge mit Zinndeckeln zu jedem Gedeck.
„Das ist wegen dem fliegenden Ungeziefer“, erläuterte Georg, als er Stephans fragenden Blick bemerkte. „Vor drei Jahren hatte ich mal eine Wespe im Bier, die Brustschwimmen übte. Daraufhin habe ich die Krüge angeschafft.“
„Gute Idee“, meinte Stephan. Allmählich taute er auf. Seine Gehemmtheit verschwand. Daran war auch die Elfe schuld. Stephan musste sich Mühe geben, das Mädchen nicht ständig anzuschauen. Er hatte Angst, dass das auffallen würde.
Also half er Georg, den Grill zu belegen. Bald brutzelten grobe Bauernbratwürste und marinierte Putenschnitzel einträchtig auf dem Rost.
Wenig später futterten sie gemeinsam am Tisch und tranken Bier und Apfelwein dazu. Sandra probierte den Apfelwein und fand ihn gut.
Apollonia trank Limonade.
„Die ist selbstgemacht“, erzählte sie Stephan, der sich über die ungewöhnliche Farbe wunderte. „Mit Wasserkefir. Den haben wir aus dem Internet. Das ist so eine Art Pilz. Man setzt ihn in Wasser an und füttert ihn. Mit dem Saft von ausgepressten Früchten zum Beispiel oder mit Rosinen. In ein paar Tagen entsteht durch Gärung ein wohlschmeckendes und gesundes Getränk.“
Stephan musste lächeln, weil das Mädchen so erwachsen klang. „Das klingt prima. Ich glaube, solchen Wasserkefir sollte ich mir auch anschaffen. Ich möchte ein Stück weit Selbstversorgung auf dem Lande machen.“
Er probierte von den Salaten. „Mein Gott! Solch guten Salat habe ich nicht mehr gegessen, seit meine Mutter starb. Mensch, ist der gut.“ Er schaute Sandra an: „Klasse! Echt!“
Sandra Kolbe freute sich sichtlich über das Lob. „Den Nudelsalat hat Polly gemacht.“
Stephan schaute die Elfe an. Jetzt hatte er einen Grund dazu und brauchte sich nicht zu verstellen: „Wirklich hervorragend, junge Dame. Es schmeckt ganz ausgezeichnet.“
Polly wurde rot unter dem Lob.
„Wenn du willst, bringe ich dir demnächst einen Ableger von unserem Wasserkefir“, lenkte sie ab. „Wie man damit Limonade macht, steht im Internet. Ich schreibe dir die Seite auf.“
Stephan betrachtete das Mädchen. Polly sah ihrer Mutter nicht besonders ähnlich. Auch ihrem Vater ähnelt sie kaum. Sie hatte die gleiche Haar- und Augenfarbe wie Sandra, aber damit endete die Ähnlichkeit auch schon. Er fragte sich, ob das Kind vielleicht adoptiert war. Zu fragen traute er sich nicht. Dazu war er noch viel zu gehemmt, auch wenn der Alkohol ihn etwas lockerer machte.
Schließlich konzentrierte er sich wieder auf sein Essen. Er wollte nicht, dass jemand bemerkte, dass er Polly dauernd anschaute. Er konnte sich nicht erklären, wieso das Mädchen ihn geradezu magisch anzog.
Um sich abzulenken, schaute er zu dem Käfig aus Holzlatten und Hasendraht hin, der auf dem Rasen stand. Er hatte etwa einen Meter fünfzig Kantenlänge. Ein kleines Holzhäuschen stand darin.
Polly folgte seinem Blick. „Das ist Sir Henrys Käfig“, erklärte sie. „Sir Henry ist mein Meerschweinchen. Meine Freundin Dunja hat auch eins. Das heißt Sir Arthur und wir spielen oft gemeinsam. Die beiden Meerschweinchen vertragen sich gut miteinander. Die streiten nie.“
„Aha“, sagte Stephan. „Sir Henry ist also ein Meereber. Oder ist er ein Meerrüde?“
„Heißt das nicht Meerstier?“ mische sich Eugen Niedermeyer ein. In seinen blauen Augen blitzte der Schalk. „Es könnte sich natürlich auch um einen Meerbullen handelt. Wenn er verheiratet wäre, hätte er eine Meersau zur Frau oder eine Meerhenne.“
„Eine Meerfähe“, schlug Georg Kolbe vor.
„Meerkuh“, warf seine Frau ein.
Sie lachten.
„In richtig heißt es Sau und Böckchen“, erklärte Polly.
„Ach nee!“ rief Stephan. „Die Frau ist ne Sau ist ne Frau und der arme Mann ist nur ein Böckchen, ein Männchen. Es müsste der Gerechtigkeit wegen dann aber auch bitteschön Säuchen heißen.“
„Säuchen“, lachte Eugen.
„Jawoll mein Lieber“, sagte Stephan. „Obwohl Säuchen nicht gut sind. Säuchen sind zu vermeiden, weil Säuchen Seuchen auslösen können und so eine Seuche ist echt die Seuche.“
Die Runde am Tisch lachte fröhlich.
Eugen schlug Stephan auf den Schenkel: „Dir fallen immerzu die tollsten Witze ein. Ich komme nie auf so etwas.“
Stephan schaute seinen Nachbarn ernst an: „Weißt du, warum das so ist, Eugen? Du bist unruhig. Du bist viel zu verkrampft.“ Er grinste übertrieben, was neues Lachen hervorrief.
Georg stand auf. Er inspizierte das Grillgut und drehte Würste und Putenschnitzel um: „Will noch jemand? Ihr müsst schnell zuschlagen, sonst ist alles vertrocknet.“
„Du bist unruhig“, sagte Sandra zu ihm. „Du bist viel zu verkrampft.“ Wieder lachten sie alle. Auch Polly.
Nach dem Essen spielte das Mädchen mit dem Leutnant. Stephan wunderte sich. Der Spitz schien an Kolbes Tochter einen Narren gefressen zu haben.
Das war außergewöhnlich. Fast schien es, als ob der Hund ähnlich empfand wie er selbst.
Eugen Niedermeyer zeigte auf das Mädchen, das barfuß über den Rasen tollte: „Apollonia geht ohne Schuhe. Der Stephan war letztens auch barfuß in seinem Garten. Ist das zu glauben? Noch vor ein paar Tagen war es eisig kalt. Ich habe mir große Sorgen um meine Bienchen gemacht. Sie konnten nicht ausfliegen.“
„Du bist unruhig“, sagte Sandra. „Du bist viel zu verkrampft.“
Wieder lachten sie. Der Alkohol half dabei nach. Stephan freute sich, den Spruch aus alten Tagen ausgegraben zu haben. Vor vielen Jahren hatte Dominik Rödel damit angefangen, jedermann zu erklären, er sei unruhig und viel zu verkrampft. Es war zu einem gängigen Witz geworden, den Spruch bei jeder Gelegenheit aufzusagen. Als der gute Dominik allerdings der Deutschlehrerin erklärte, sie sei unruhig und sie sei viel zu verkrampft, hätte ihm das um ein Haar einen Eintrag ins Klassenbuch eingebracht.
Sandra erhob sich: „Seid ihr fertig? Ich bringe die benutzten Teller ins Haus. Nicht dass noch Wespen angelockt werden.“
„Du bist unruhig“, sprach Georg mit todernstem Gesicht. „Du bist viel zu verkrampft.“ Sie grölten lauthals los.
Polly öffnete den Käfig und holte ihr Meerschweinchen heraus. Sir Henry war schwarz mit einigen braunen Flecken und einem kleinen weißen Fleck unterm Kinn, der aussah wie ein Bart. Sie hielt dem Leutnant das Tierchen hin: „Das ist Sir Henry. Dem darfst du nichts tun. Zu dem musst du lieb sein.“ Sie setzte das Meerschweinchen ins Gras. Der Großspitz schnupperte an Sir Henry. Dann ging er in Habachtstellung. Er hatte den Neuling akzeptiert und reihte ihn widerspruchslos in sein zu bewachendes Rudel ein.
Sandra kam zurück. Sie hatte einige Bierflaschen dabei: „Du auch ein Bierchen, Stephan?“
„Danke“, lehnte er ab. „Ich bleibe lieber bei meinem Apfelwein.“
Sandra stellte ihrem Mann ein Bier hin: „Trink deinen Krug aus. Das Bier wird warm.“
Georg schaute zu seiner Frau auf: „Sandra, du bist unruhig. Du bist viel zu verkrampft.“ Wieder löste der Spruch reihum Lachen aus.
Polly hob den Meerschweinchenkäfig auf und versetzte ihn um zwei Meter: „Das Gras ist abgefressen. Sir Henry braucht eine neue Stelle.“ Sie seufzte: „Wenn der Käfig nur nicht so klein wäre. Ich hätte gerne einen großen Käfig, in dem Sir Henry so richtig herumtollen könne. Da könnte man Attraktionen einbauen: Baumwurzeln, Heuhaufen, mehrere Häuschen und so was.“
Stephan stand auf. Er patschte gegen die Wand der Garage: „Ich könnte dir zusammensteckbare Module bauen. Aus Holz.“ Er beschrieb mit ausholenden Gesten, was er meinte: „Das käme an die Wand hier. Auf Eisenwinkel gestützt. Ungefähr einen halben Meter breit. Man könnte die Module flach anbringen und an- und absteigen lassen. Mit Leisten auf den Schrägen, als Meerschweinchentreppe gewissermaßen. Vorne müsste natürlich ein Zaun aus Hasendraht dran, damit Sir Henry nicht abstürzt. Der Clou wäre, dass man sogar mehrstöckig bauen könnte. Über Treppchen wären die einzelnen Ebenen miteinander verbunden. Du könntest Häuschen aufstellen, Heuhaufen anlegen oder Papprohre zum Durchkriechen hinlegen. Man könnte eine Art Labyrinth konstruieren, in dem man Möhren versteckt, die dein Meereber dann suchen muss. Das könnte man richtig groß aufziehen – eine richtig große Schweinerei eben. Ich arbeite gerne mit Holz. Ich könnte dir die Module bauen. Das Schönste daran: Man kann mit ein paar wenigen Modulen anfangen und die Schweinerei dann kontinuierlich vergrößern. Du könntest dich davor stellen und deinem Meerstier beim Erforschen seiner neuen kleinen Welt zuschauen.“
Polly hopste vor Begeisterung auf und ab: „Oh das wäre klasse! Total klasse!“ Sie wandte sich an ihre Eltern: „Darf ich?“
Georg nickte: „Warum nicht? Das ist eine prima Idee. Wenn Dunja mit ihrem Meerrüden kommt, können die zwei Schweinehunde gemeinsam die Stockwerke erkunden.“
„Das klingt aber nach einer ziemlichen Menge Arbeit“, sagte Eugen Niedermeyer.
Sandra schaute den Bienenzüchter an: „Das darfst du nicht so eng sehen Eugen. Du bist unruhig. Du bist viel zu verkrampft.“
Wieder lachten sie. Dann machten sie Pläne. Polly holte Papier und ein paar Stifte und Stephan machte einige Skizzen, wie er sich die Module vorstellte: „Man kann sie leicht austauschen und die Anordnung verändern.“
Niedermeyer erhob sich: „Ich müsste mich mal entwässern.“
Sandra zeigte zur Hintertür: „Geradeaus durch zum Gang. Die zweite Tür rechts. Gute Verrichtung.“
Als Eugen fort war, zwinkerte Sandra Stephan zu: „Ein Wunder, dass Eugen dabei ist. Wir haben ihn in den letzten zwei Jahren mehrmals eingeladen, aber er sagte immer ab. Der ist wohl ein bisschen schüchtern. Mir kommt er wie ein Eigenbrötler vor.“
Schüchtern?, dachte Stephan. Aber das bin doch ich! Er lächelte Sandra Kolbe an: „Er arbeitet als Selbstständiger. Er plant und installiert Alarmanlagen. Er ist noch nicht lange selbstständig. Ich schätze, er muss manchmal ziemlich hart ran und hat keine Zeit. Er lässt sich gelegentlich für mehrere Tage nicht blicken.“ Stephan wunderte sich, wie locker er mit seinen neuen Bekannten umgehen konnte. Er fühlte sich richtig wohl in der Gesellschaft der Kolbes. Der Nachmittag gefiel ihm ausnehmend gut.
Immer wieder schaute er zu Polly hin. Die zart gebaute Elfe faszinierte ihn. Das Mädchen zog seine Blicke an. Er konnte sich nicht erklären, wieso. Es war eigenartig. So etwas hatte er noch nie zuvor erlebt.

Powered by: Burning Board Lite 1.0.2 © 2001-2004 WoltLab GmbH